Elbenzorn
sie war überzeugt davon, dass er die Seidenrobe eines Goldenen mit der gleichen Selbstverständlichkeit ausfüllen würde wie die grobe Kleidung, die er jetzt am Leibe trug. Und wahrscheinlich würde er sich gleichermaßen in der Hohen Halle bewegen, als wäre es sein Geburtsrecht, sich dort aufzuhalten – so, wie er jetzt mit den Seeleuten dort am Tresen scherzte, als hätte er schon manche stürmische Fahrt mit ihnen überstanden.
Ein frischer Luftzug wehte durch die Tür und brachte nächtliche Kühle mit sich und den Geruch nach trockenem, altem Schlangenleder. Kleider raschelten leise, gaben in Rutaauras scharfen Ohren einen ganz anderen Klang als das grobe Knarren der derben Fischerhosen und -jacken rundum.
Sie blickte auf und sah in ein scharf geschnittenes, dunkles und adlernasiges Gesicht, das wie das ihre von einem mitternachtsblauen Turban überschattet wurde. Dunkelbraune Augen blickten in ihre eisfarbenen, einen winzigen Moment lang verblüfft über die ungewöhnliche Farbe. Dann verzog sich der schmale Mund zu einem Lächeln. » Sran’kka «, begrüßte der Sandläufer sie als Mitglied seines Volkes.
» Sr’randu «, erwiderte Rutaaura und rückte einladend zur Seite. Der junge Mann ließ sich neben ihr nieder und betrachtete sie mit gedämpfter Neugier aus den Augenwinkeln. Beide schwiegen höflich. Nach einer Weile berührte er mit einem schwarz lackierten, spitzen Nagel respektvoll den Ärmel ihres Burnus. » Q’ka sbran d’gxu? «, fragte er. Dein Stamm hat Wasser?
Rutaaura vollführte eine verschlungene Geste mit den Fingern der linken Hand. » Rr’qwa sbran’sxa ch’uq. « Wir reiten mit Wasser in den Bäuchen.
Der junge Mann nickte zufrieden und lehnte sich zurück. Sie sah bei näherer Betrachtung nicht aus wie eine Sandläuferin, aber ihre Worte sagten ihm, dass sie ein Recht hatte, diese Kleidung zu tragen, und ihre Geste hatte ihm gezeigt, welcher Stamm sie diese Worte gelehrt hatte.
Ruta fragte sich, was ihn in die Stadt geführt haben mochte. Sandläufer hassten Mauern und Menschenansammlungen, ohne den freien Himmel über dem Kopf und nicht viel mehr um sich als ihren Stamm, Wind und Sand wurden sie krank.
Der Sandläufer würde jetzt ohne Aufforderung nicht mehr das Wort an sie richten, das verbot seine Erziehung. Sie war die Frau, sie musste das Gespräch eröffnen. Sie musterte seinen Burnus. Säume und Kanten waren mit einer feinen roten Stickerei eingefasst und seine Skrall-Peitsche hing an einem geflochtenen Riemen aus Echsenhaut, den er quer über der Brust trug. Außerdem hatte er das lange Ende seines Turbans so drapiert, dass es eine Schulter bedeckte. Ein Sandläufer aus dem Nördlichen Territorium also – er war weit weg von zu Hause.
»Du bist weit weg von deinem Feuer. Dein Stamm hat dich in die Stadt geschickt?«, fragte Rutaaura ihn in der kehligen Sprache des nördlichen Sandes.
Der junge Sandläufer schnalzte bejahend mit der Zunge. Seine dunklen Augen musterten mit wachsamen Blicken die Gäste der Taverne. »Unsere J’Xchan hat den Atem der Götter getrunken und der Gras’dau kann ihr nicht helfen«, antwortete er. »Die Mütter haben mich geschickt, weil ich schon einmal in den Mauern gewesen bin und den Weg kenne.«
Die scharfen Laute der Sandläufer-Sprache klangen im südlichen Dialekt weicher, als Rutaauras Ohr es gewöhnt war, und sie musste sich sehr anstrengen, um ihn zu verstehen. Das Oberhaupt seines Stammes war also so krank, dass die Ältesten den Sandläufer geschickt hatten, um einen Heiler aus der Stadt zu holen. Das kam vor, wenn auch selten. Er musste einiges an wertvollem Gut mit sich tragen, wenn er einen Heiler überreden wollte, mit ihm auf die lange Reise nach Süden zu gehen.
»Was machst du hier?«, fragte Rutaaura weiter. Sie war sich sicher, dass er sein Reittier irgendwo weit draußen vor der Stadt gelassen und dort auch sein Lager aufgeschlagen hatte. Eine Taverne im Hafenviertel war weder der naheliegendste Ort, noch war jetzt die passende Tageszeit, um nach einem Heiler zu suchen.
Der junge Mann zog die Brauen zusammen. »Ich folge dem Sand«, sagte er unbestimmt. Seine Hände verschwanden in den Ärmeln seines Burnus, als er die Arme über der Brust verschränkte.
Ruta nickte. Er hatte wahrscheinlich etwas bei sich, was er veräußern wollte, und der Singende Delphin war der richtige Platz, um seltene, gefährliche oder verbotene Güter an den Mann zu bringen.
»Ich wünsche dir Erfolg bei deinem Vorhaben«,
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