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Elbenzorn

Elbenzorn

Titel: Elbenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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blassen, ebenmäßigen Zügen, aus denen gleichermaßen Charme wie Arroganz sprachen. Das Haus Nekâr gehörte ebenso wie Iviidis’ eigene Familie zu den fünf alten königlichen Geschlechtern – aber im Gegensatz zu Glautas oder ihr selbst trauerten die Nekâru noch immer dem verlorenen Glanz der Glücklichen Ära nach. Nekiritan wäre wahrscheinlich wirklich erst dann glücklich, wenn er neben seiner Cousine auf dem verwaisten Thron säße – und Iviidis dankte den Ewigen dafür, dass das nicht mehr im Bereich des Möglichen lag.
    »Es ist wirklich bedauerlich, dass wir bisher noch keine Zeit gefunden haben, ein wenig länger miteinander zu plaudern«, sagte er und berührte sanft ihre Hand. Iviidis hob ihren Fächer und öffnete ihn zu einem warnenden spitzen Winkel. Nekiritan neigte lächelnd den Kopf und führte sie zu einer der kleinen Lauben an der Südwand. Die Baumsinger, die die Hohe Halle geschaffen hatten, hatten dafür gesorgt, dass das Sonnenlicht hier ungehindert einfallen konnte, und damit ein reizvolles Spiel von Licht und Schatten geschaffen, das an einem Laubwald im Frühjahr erinnerte.
    Die Nische, die Nekiritan gewählt hatte, war umrankt von einer Unzahl kleinblütiger zartgelber Rosen, die stark und süß dufteten. Der Eingang lag so, dass das Innere der Laube vom Saal aus nicht ohne Weiteres eingesehen werden konnte. Ein kleiner Tisch mit Erfrischungen und zwei mit Kissen bestückte Bänke luden zum Verweilen ein. Iviidis hatte während ihrer Zeit als Bewahrerin und Assistentin ihres Vaters häufig in einer dieser Nischen gesessen, nämlich immer dann, wenn es darum ging, ein Gespräch zu führen, dessen Inhalt nicht gleich dem ganzen Hof bekannt sein sollte.
    Sie wusste, dass die kleinen Lauben auch anderen, intimen Treffen dienten, die weniger politischer Natur waren.
    Iviidis zögerte kurz, aber der sanfte, dennoch bestimmte Druck der Hand an ihrem Ellbogen ließ ihr keine andere Wahl, als ihm zu folgen, außer, sie legte es auf einen offenen Skandal an. Nekiritan schüttelte ihr galant ein weiches Kissen auf und setzte sich dann neben sie. Er schenkte hellgrünen Wein in zwei schön geschliffene Gläser und reichte ihr eins davon. Er lehnte sich in die weichen Polster zurück und nahm, ohne den Blick von ihr zu lösen, seine Halbmaske ab, um sie achtlos auf den Tisch zu legen.
    Iviidis war dankbar für die steife Haltung, die ihre Gewänder ihr aufzwangen. Sie nippte kurz an dem kühlen Wein und stellte das Glas ab.
    »Was führt dich so früh im Jahr in den Sommerpalast?«, fragte Nekiritan. Die ungewöhnlich unverblümte Frage verblüffte Iviidis. Sie war sich einigermaßen sicher, dass Nekiritian von ihrem Vater schon über den von ihr genannten Grund ihrer Anwesenheit ins Bild gesetzt worden war, und einen Moment lang war sie unsicher, was sie antworten sollte.
    Der Elb hob höflich die Hand, um sein Lächeln zu verbergen, als er ihr Zögern bemerkte. Iviidis schalt sich dafür, sich eine Blöße gegeben zu haben. Das war der Grund für Nekiritans Direktheit – er hatte sie verunsichern wollen, und das war ihm leider gelungen. Sie schien den Tücken einer höfischen Unterhaltung nicht mehr so recht gewachsen zu sein.
    »Ich suche Abwechslung«, erwiderte Iviidis schließlich. »Das Leben im Randgebiet ist ruhig und beschaulich, aber auf Dauer ein wenig langweilig. Ich will Glautas überreden, dass er mir Zutritt zu den Archiven gibt, damit ich mich wieder mit meiner alten Arbeit beschäftigen kann.«
    Nekiritan nickte mit verständnisvoller Miene, aber seine Augen blitzten schalkhaft. »Ich erinnere mich, du hast dich vor deiner bedauernswerten Entscheidung, dich mit einem nicht ganz ebenbürtigen Partner zu vermählen, mit unserer Geschichte beschäftigt. Deine Forschung galt seltsamerweise den Unaussprechlichen, diesem Fluch unserer Gesellschaft, nicht wahr?« Seine wohlklingende Stimme hatte einen hässlichen, kratzigen Unterton bekommen – Iviidis kannte das aus Gesprächen mit anderen Elben. Wenn es um ihre Forschungen über das heikle Thema der dunklen Wanderer ging, zeigten die meisten Elben wenig Verständnis.
    »So ist es«, erwiderte sie kurz. Nekiritan nippte an seinem Glas und bot ihr dann eine Schale mit reifen Erdbeeren an. Iviidis wählte eine der Früchte und tunkte sie in das bereitgestellte Schälchen mit grobgemahlenem Pfeffer, ehe sie die saftige Beere in ihren Mund schob.
    »Apropos Langeweile«, sagte Nekiritan nach einer Weile des Schweigens. »Kann ich

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