Elbenzorn
greifbaren Masse.
Aber das war es nicht, worüber Rutaaura sich beklagte. Sie war nicht empfindlich, und ein wenig dicke Luft war normalerweise kein Grund, sie zum Jammern zu bringen. Aus den Klagen der Elbin klang vielmehr ihre Enttäuschung über den bisherigen Verlauf ihrer Reise. Die Hoffnungen, die sie sich gemacht hatte, hatten sich bei Weitem nicht erfüllt. Sie waren der Fährte der Schweigsamen Wanderer gefolgt und so bis an die Küste des Sandigen Ozeans gelangt. Aber hier, in diesem lauten, turbulenten, stinkenden Gewühl von Sandanger verlor sich ihre Spur wie Zucker in einem Ameisenhaufen, und sie hatten sie jetzt schon seit Tagen nicht wieder aufnehmen können.
Zwei Ochsenkarren rumpelten an ihnen vorbei und wirbelten noch mehr Staub und Sand auf. Lluigolf hustete demonstrativ und deutete die Straße hinunter. »Ich habe heute so viel Sand geschluckt, dass ich als Wanderdüne arbeiten könnte. Komm, lass uns den Singenden Delphin aufsuchen. Damit fangen wir gleich zwei Fische an einem Haken.«
Rutaaura blickte mit ärgerlich zusammengekniffenen Augen das Haus an, auf das er deutete, nickte und zog das herabhängende Tuchende ihres Sandläufer-Turbans wieder vor Mund und Nase, das sie nicht nur vor Sonne, Sand und Straßenstaub, sondern auch vor allzu neugierigen Blicken schützte. Elben waren hier in dieser Menschenstadt selten anzutreffen – deswegen war es ja so überaus verwunderlich, dass sie die Fährte der Dunklen verloren hatten.
Im Singenden Delphin erregte ihr Anblick kein Aufsehen. Die Wirtin blickte auf, als sie die Taverne betraten, und gab dem Schankjungen, der auf einem Hocker vor sich hindöste, einen Klaps. Lluigolf bedeutete ihr, zwei frische Krüge Bier zu zapfen, und schob sich mit einem Nicken an den einzigen anderen Gästen vorbei zum Tresen, zwei Fischern, die auf der durchgehenden Bank an der Längsseite des Raumes hockten, ihre Stiefel in den Raum streckten und stummelige Pfeifen rauchten. Einer von ihnen kaute gleichzeitig einen Priem und spuckte in regelmäßigen Abständen dunkelroten Tabaksaft in das Sägemehl zu seinen Füßen. Rutaaura blieb einige Atemzüge lang an der Tür stehen und zog den Stoff von ihrem Gesicht. Unter dem Turban kringelte sich eine eisblonde Haarsträhne hervor und fiel ihr in die Stirn. Sie schob sie ungeduldig unter den Stoff zurück und ließ sich auf der Bank neben der Tür nieder.
Lluigolf näherte sich mit zwei vollen Krügen in der Hand und zog einen Schemel heran, auf dem er das Bier abstellte.
»Was sagt sie?«, fragte sie leise und griff nach einem Krug. Lluigolf trank, wischte sich den Schaum von der Oberlippe und schüttelte den Kopf. »Der Käpt’n war noch nicht hier«, erwiderte er ebenso gedämpft. »Aber sein Schiff ist noch nicht wieder ausgelaufen. Die Wirtin sagt, dass er gewöhnlich kurz vor dem zweiten Wachwechsel hereinschaut.«
Die Elbin nippte an dem herben Bier, verzog kurz das Gesicht und nahm dann einen beherzteren Schluck. »Menschen nehmen wirklich seltsames Zeug zu sich«, murmelte sie.
»Sei vorsichtig, man gewöhnt sich dran«, warnte ihr Begleiter mit einem wölfischen Grinsen. »Wir warten also hier?«
»Das tun wir«, seufzte Rutaaura.
Sie saßen schweigend und tranken sparsam von ihrem Bier, während sich die Taverne nach und nach mit Seeleuten und Fischern füllte. Mit den Gästen kam salzige Luft durch die offene Tür, und je älter der Abend wurde, desto mehr feiner roter Sand lagerte sich auf den verblichenen Schiffsplanken, aus denen der Boden der Taverne bestand, setzte sich in die Ritzen und Fugen, knirschte zwischen den Zähnen und ließ sogar das Bier im Krug trübe werden.
Lluigolf sah in die schlammige Neige seines Kruges und schüttelte den Kopf. »Das würde noch nicht mal der Zwerg trinken«, murmelte er angewidert. Er kippte den Krug aus und stand auf. »Soll ich dir auch noch ein frisches mitbringen?«
Rutaaura verneinte. Ihr Krug war noch halb gefüllt, das Bier schmeckte inzwischen abgestanden und schal, aber sie hatte auch nicht vor, es zu trinken. Sie sah ihrem Begleiter zu, wie er sich den Weg zum Schanktisch bahnte und dabei energisch seine Ellbogen benutzte. Er hatte sich irgendwoher die salzwassergebleichte Leinenmontur eines Matrosen besorgt und schien sich in ihr genauso wohl zu fühlen wie in seinen eigenen abgetragenen Kleidern. Selbst sein Gang war rollend wie der eines alten Seebären. Ruta lächelte. Sie hatte Lluigolf nie anders als in schäbigen Kleidern gesehen, aber
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