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Elbenzorn

Elbenzorn

Titel: Elbenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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»Niemand weiß davon«, wiederholte er. »Ich hielt es für richtig, den Fund nicht publik zu machen.«
    »Aber Glautas weiß doch sicher …«
    »Niemand«, sagte er mit untypischer Härte in der Stimme. »Und auch du wirst niemandem davon erzählen. Ich vertraue darauf, wie ich dir immer vertraut habe.«
    Iviidis starrte ihn an. »Alvydas, das kannst du nicht …«
    »Ich kann es. Und du auch.« Er hatte sich aufgerichtet, und sie spürte wie früher seine Kraft und die Macht seines Willens. »Ich habe zu den Ewigen gebetet, dass sie dich zu mir schicken, und sie haben meine Bitte erhört. Ich verlange keinen blinden Gehorsam von dir, das habe ich nie getan. Aber ich brauche dich für das, was ich vorhabe, und du wirst eine Erklärung von mir bekommen, nur nicht jetzt, nicht heute. Ich bin zu müde.«
    Er sank erschöpft in seinen Sitz zurück und lehnte den Kopf an die Rückenlehne. Seine Augen schlossen sich. »Den anderen«, wiederholte er matt.
    Iviidis atmete tief durch und beruhigte das Chaos ihrer Gedanken. Sie nahm den größeren Stein und stellte gleich fest, dass er erheblich jüngeren Datums sein musste als die Aufzeichnungen Andronee Mondauges. Sie fokussierte ihren Geist und begegnete einer vertrauten, geliebten, lange vermissten Stimme.
    »Ach«, stieß sie hervor. Sie blickte Alvydas an, der immer noch zusammengesunken in seinem Stuhl lehnte, aber sie wieder mit klarem, kühlem Blick fixierte. Er nickte.
    »Ich frage dich jetzt nicht, woher du das hast«, sagte Iviidis, zu aufgewühlt durch alles, was sie hier gerade erlebte. »Du wirst es mir irgendwann erzählen, mein Lehrer. Aber du hast mich gefragt, ob ich wieder als Sondiererin arbeiten werde, und ich weiß nun, dass du einen Hintergedanken bei dieser Frage hattest. Was willst du von mir?«
    Er atmete lang und zitternd ein. »Der Kristall«, sagte er fast unhörbar und deutete auf den großen Schwarzbernstein. »Du wolltest wissen, wofür ich ihn benutzen möchte.«
    Iviidis nickte. Alvydas schloss wieder die Augen. Irgendwo in der Ferne, draußen, im Licht des Tages, sang ein Vogel. Näher, im Baum, irgendwo in der Dunkelheit, raschelte ein kleines Tier, und ein anderes, ein großer Falter oder eine Fledermaus, flog durch eine der Höhlungen im Baum, nur für Elbensinne zu vernehmen.
    »Ich möchte, dass du mir hilfst, meine Erinnerungen aufzuzeichnen«, flüsterte Alvydas. »Ich bin müde, und ich habe eine lange Reise hinter mir.« Er runzelte die Stirn. »Und eine noch längere vor mir«, fügte er fast ärgerlich hinzu. Er richtete sich auf und streckte die Hand aus.
    »Wirst du mir helfen?«
    Iviidis zögerte, dann berührte sie seine Fingerspitzen und nickte.
    Er schloß erleichtert die Augen. »Danke«, sagte er.

    Der Abend dämmerte bereits, als Iviidis in Glautas’ Haus zurückkehrte. Sie hatte sich gewünscht, noch etwas in dem kleinen Innenhof zu sitzen, der an ihr Zimmer grenzte, und über den Tag nachzudenken, aber als sie durch den Vorhang trat, der den Hof vom Gang abtrennte, erblickte sie ihren Vater im vertraulichen Gespräch mit Nekiritan. Sie murmelte eine Entschuldigung und wandte sich um, aber Nekiritan war schon aufgesprungen und hatte ihre Hand ergriffen, um sie an die Lippen zu ziehen. »Bleib bei uns, Glanzpunkt dieses schönen Tages«, sagte er schwülstig. Iviidis warf ihrem Vater einen Blick zu, in der vagen Hoffnung, er wolle mit Nekiritan alleine sein. Aber Glautas winkte nur einladend und lächelte. »Ja, komm zu uns, mein Kind. Wir freuen uns über deine Gesellschaft.«
    Iviidis ließ sich von Nekiritan zu der Bank geleiten, auf der er zuvor gesessen hatte. Er legte ein weiches Kissen auf die Sitzfläche und rückte ihr einen Fußschemel zurecht. Dann blieb er neben ihr stehen und deutete eine Verbeugung an. »Darf ich dir etwas zu trinken kredenzen, schönste Freundin? Du siehst müde aus.« Er griff nach der Karaffe, ohne ihre Antwort abzuwarten. Nekiritan war leger gekleidet, in ein weich fallendes, smaragdgrünes Gewand, unter dem weiße Seidenstrümpfe und bestickte offene Seidenschuhe hervorsahen. In seinen offenen Locken blitzte Diamantpuder, und seinen Wangenknochen zierte ein winziger geschliffener Rubin, der das dunkle Grün seiner Augen betonte.
    Iviidis ließ sich einen eisgekühlten Aprikosensaft einschenken und dankte ihm. Er setzte sich betont anmutig neben sie und drehte sich dabei ein wenig, sodass er sie anblicken konnte.
    »Wie ich sehe, warst du heute im Archiv?«, stellte Glautas mit

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