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Elbenzorn

Elbenzorn

Titel: Elbenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Oberfläche. Sie dachte an Lootana, wie sie sie zuletzt gesehen hatte. Ihre Mutter stand neben ihrer schwarzen Stute, hatte schon zum Aufsteigen bereit eine Hand auf dem Sattel liegen und sah Iviidis mit Schmerz in ihren schönen dunkelgrünen Augen an. Glautas war nicht gekommen, um seine Frau zu verabschieden. Iviidis wusste von Lootana, dass sich die beiden wieder bis früh in den Morgen gestritten hatten. Früher hatte Lootana nach einem solchen Streit nachgegeben und war geblieben, aber Iviidis wusste, dass dies hauptsächlich ihretwegen geschehen war. Lootana fiel es schwer, sich von ihrer Tochter zu trennen – es fiel ihr schwerer, als Glautas im Streit zu verlassen, erkannte Iviidis erstaunt.
    Sie hatten beinahe wortlos voneinander Abschied genommen. Es war alles gesagt. Lootana hatte sie gefragt, ob sie sie nicht begleiten wolle, und Iviidis hatte voller Bedauern abgelehnt. Sosehr sie der Gedanke gereizt hatte, Lootana zu folgen und die Welt da draußen zu erkunden – sie wollte auch Olkodan heiraten und mit ihm leben, und beides passte einfach nicht zusammen.
    Seitdem hatte sie nichts mehr von ihrer Mutter gehört. Wo auch immer sie sich herumtrieb, sie dachte wahrscheinlich schon lange nicht mehr an ihre Familie.
    Iviidis umschloss den Kristall mit beiden Händen und öffnete ihren Geist. ))»… weiter als ich gedacht hätte«, erklang die vertraute Stimme ihrer Mutter. »Ihre Aufzeichnungen enthalten eine klare Beschreibung des Weges. Ich frage mich, warum niemals jemandem aufgefallen ist, dass sie zu einem viel späteren Zeitpunkt entstanden sein müssen. Wie hätte sie sonst all die finsteren Legenden sammeln können, die über die …«((
    Iviidis sprang an eine andere Stelle des Monologes. Lootana hatte ihre Überlegungen immer einigermaßen unsortiert in ihre Speicherkristalle gespeist und sich dann ständig darüber beschwert, dass sie nichts wiederfinden konnte. Gleichzeitig hatte sie Iviidis wegen ihrer methodischen Arbeitsweise aufgezogen – und Iviidis hatte sie geneckt, dass sie mit Sicherheit einen ganzen Zweig von Sondierern und Archivaren benötigen würde, um ihre Notizen in den Griff zu bekommen. Es war übrigens charakteristisch für sie, dass sie kaum mit unterstützenden Gedankenbildern arbeitete. Sie sagte immer, dass es sie vom reinen Gedanken ablenkte.
    ))»Ich glaube, er weiß noch viel mehr über diese Zeit, als er sagt. Er dürfte einer der Wenigen sein, die noch unter uns sind und selbst miterlebt haben, wie das Elbenvolk zerbrach. Manchmal frage ich mich, wer oder was er eigentlich ist. Aber er ist verschlossen wie ein Stein, selbst mir gegenüber.«((
    Iviidis hielt unwillkürlich den Atem an. Sie zwang sich, an eine andere Stelle zu springen. Heute konnte sie sich nur einen kurzen Überblick verschaffen, für ein methodisches Vorgehen war sie einfach zu müde.
    ))»… mir unendlich schwer gefallen, sie fortzugeben. Ich hatte dafür gesorgt, dass man sich so gut um sie kümmern würde, als wäre sie bei mir geblieben, aber ich hatte mir nicht vorstellen können, welchen Schmerz es mir verursachen würde. Ganz sicher ist das ein Grund für meine Besessenheit.Vielleicht ist es auch der Grund für Iviis Interesse an den Schweigsamen. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich es Glautas immer noch übel nehme, dass er mich dazu gezwungen hat, obwohl ich weiß, dass es keine andere Möglichkeit gegeben hätte. Wir sind noch nicht bereit dafür, aber ich werde dafür arbeiten, dass …«((
    Widerstrebend riss Iviidis sich los. Sie konnte nicht mehr. Sie öffnete matt die Hände, und der Kristall fiel mit einem leisen Klacken auf den Tisch. Sie rieb sich die Augen und lehnte sich zurück. Nur für einen Moment …
    Sie wanderte durch einen düsteren, grauen Wald. Die Bäume waren höher als alle, die sie je in einem Wald gesehen hatte. Mächtige Stämme und dicke Wurzeln versperrten ihr den Weg, der ohnehin kaum mehr war als ein geahnter Pfad durch dichtes, dorniges Unterholz. Es war stickig und unnatürlich still. Kein Vogelruf, kein Rascheln kleiner Füße, nur das Knacken, mit dem gelegentlich ein dürrer Zweig unter ihrem Tritt brach.
    Sie ahnte, dass jemand hinter ihr war. Sie spürte seinen Atem in ihrem Nacken und wusste, dass er sie an der Schulter berühren könnte, wenn er nur die Hand ausstreckte. Sie würde ihn sehen, wenn sie sich umdrehte, aber es war ihr unmöglich, den Kopf zu wenden oder stehenzubleiben. Sie ging weiter, tastend und unsicher im seltsamen

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