Elbenzorn
warnen.«
Iviidis nickte schwach. »Du hast wahrscheinlich recht.«
Broneete fuhr sich durch die Haare. Ihr Zopf hing halb aufgelöst über ihren Rücken, und sie band ihn ungeduldig neu. »Vielleicht sollten wir aber deinen Vater unterrichten.«
Iviidis schüttelte energisch den Kopf. »Nein. Du hast es ja selbst gesagt – wir wissen nicht viel mehr, als dass Zinaavija die Unwahrheit gesagt hat über das, was sie bei der Sondierung gefunden hat.«
»Aber sie hat deinen Vater belogen«, wandte Broneete ein. »Sollte er das nicht erfahren?«
Iviidis zögerte. »Ich weiß nicht warum, aber ich möchte erst genauer Bescheid wissen«, sagte sie schließlich und sah Broneete prüfend an. »Wir werden darüber schweigen und der Sache nachgehen?«
»Das werden wir tun«, stimmte die Gardistin zu. Iviidis reichte ihr die Hand, und Broneete ergriff sie.
»Lass uns morgen darüber nachdenken, was jetzt zu tun ist«, sagte Iviidis. »Ich bin zu müde zum Denken.«
»Ich auch«, murmelte die Gardistin und unterdrückte ein Gähnen. Sie stand auf und rieb sich die Arme. »Danke«, sagte sie. »Du warst sehr behutsam.«
Iviidis öffnete den Türvorhang für sie und blieb dann eine Weile in der Tür stehen. Es war Nacht geworden, und im Gang herrschte Stille. Aus einem der Innenhöfe drang der Gesang einer Nachtigall. Iviidis ging ein paar Schritte den Gang hinunter und trat in den ersten Hof. Laub rauschte leise in der Dunkelheit, anscheinend war Wind aufgekommen. Sie blickte zum Himmel empor. Sterne funkelten auf sie hinunter, und der Wind kühlte ihr erhitztes Gesicht. Die Erschöpfung kam wie eine schwere, nasse Decke, hüllte sie ein, dämpfte alle Empfindungen. Iviidis gähnte und kehrte in ihr Zimmer zurück.
13
A lvydas saß da, das Kinn in die Hand gestützt und den Blick seiner farblosen Augen unverwandt auf Iviidis gerichtet, während sie ihm von Broneetes Erinnerungen an die Nacht des Mordes berichtete.
»Was hältst du von all dem?«, fragte Iviidis schließlich, nachdem sie geendet hatte und Alvydas immer noch schwieg.
Der alte Elb lehnte sich zurück und spitzte die Lippen, als wolle er pfeifen. Iviidis lächelte leise, denn sie erinnerte sich an Zeiten, da hätte er in so einem Augenblick wirklich einen Pfiff ausgestoßen, der klang wie der klagende Regenruf einer Amsel.
Alvydas sah die Erinnerung in ihren Augen und blickte sie beinahe zärtlich an. »Also gut«, sagte er. »Du hast mich gefragt.« Er beugte sich vor und nahm ihre Hand. »Ich muss dich warnen, Kind«, sagte er eindringlich. »Seit einigen Umläufen gehen hier Dinge vor sich, die mich außerordentlich beunruhigen. Geflüster und Gerüchte und heimliche Zusammenkünfte … Ich habe solche Zeiten erlebt, und sie endeten immer in Blut, Krieg und Chaos.«
Iviidis sah ihn betroffen an. Seine Finger, die ihr Handgelenk umfassten, waren trocken und kühl und schienen sachte zu beben. »Was meinst du damit, Alvydas?«
Er ließ sie los und sank in seinen Sitz zurück. »Ich lebe nicht mehr im Zentrum des Geschehens«, sagte er müde. »Alles, was zu mir gelangt, ist wie das Echo eines Echos. Ich sehe nur noch die verzerrten Schatten der Dinge, die sich von draußen in meine Höhle verirren. Aber ich habe all das zu oft erlebt, um es nicht einordnen zu können. Jemand versucht, die Ordnung zu stören. Vielleicht will er oder sie auch die alte Ordnung wiederherstellen, das ist möglich. Das Ergebnis wäre in beiden Fällen das gleiche. Ich kann dir nur raten, sehr vorsichtig zu sein und dich nicht in Gefahr zu begeben, indem du in dieser Sache herumstocherst.«
»Alvydas, ich bin kein Kind mehr. Ich bin hier, weil meine
Schwester mich gebeten hat, nach eben solchen Entwicklungen Ausschau zu halten – ich hielt es für ein Hirngespinst, aber jetzt bestätigst du Rutas Verdacht. Du musst mir erzählen, was du weißt oder vermutest!«
Alvydas schwieg. Seine Miene war verschlossen. Jetzt war es Iviidis, die sich vorbeugte und seine Hand ergriff. »Alvydas, ich weiß, du willst mich nur schützen, aber das kannst du nicht. Du hast mir all deine Erinnerungen selbst anvertraut. Noch kann ich sie nicht einordnen, aber auch das ist bald geschehen. Spätestens dann weiß ich ohnehin alles, was du weißt.«
Die kühlen Finger regten sich in ihrer Hand. Er nickte resigniert. »Ich bin ein alter Narr«, sagte er trocken. »Verzeih mir. Ich werde dir sagen, was ich weiß – aber gib mir dein Wort, dass du vorsichtig sein wirst. Und versprich mir,
Weitere Kostenlose Bücher