Elbenzorn
wünsche nicht, dich wiederzusehen.«
Trurre fuhr zurück, als hätte er eine Ohrfeige erhalten. Sein Gesicht war bleich, aber er beugte die Knie vor seinem König und wandte sich dann heftig um, um den langen Weg zum Portal zurückzugehen. Torill verneigte sich hastig und eilte hinter ihm her.
16
D unkle, schwere Wolken hingen über dem Tal. Ein heftiger Wind blies durch den Wehrgang der Kronburg und ließ die Fahnen auf dem höchsten Turm knattern und wild gegen die Stangen schlagen, an denen sie befestigt waren.
Trurre stand reglos an einer der Schießscharten, umklammerte den steinernen Rand mit gefühllos gewordenen Fäusten und starrte hinab ins Tal.
Torill, die lange nach ihm gesucht hatte, stellte sich still neben ihn. Nach einer Weile, in der beide schwiegen, rührte sie sacht an seine eiskalten Finger und sagte: »Komm mit, Großer. Ich habe uns etwas zu essen in meine Räume bringen lassen. Ich dachte mir, dass du keine Lust hast, im Saal mit den anderen zu tafeln.«
Trurre regte sich nicht. Sein Profil war wie aus dem grauen Felsgestein gemeißelt, aus dem die Mauern der Burg bestanden.
Torill schüttelte den Kopf, dass die Steinchen, die sie an ihre Zöpfe gebunden hatte, leise klirrten und klapperten. »Trurre, was hast du erwartet? Dass er dich mit offenen Armen empfängt und dir heißen Honigwein servieren lässt? Du hast gewusst, dass man dich hier nicht willkommen heißen wird!«
Er nickte langsam, aber sein Blick war immer noch starr ins ferne Tal hinaus gerichtet.
Torill zog ihre Fellweste gegen den schneidenden Wind enger um den Leib. »Von uns Jüngeren denken nicht alle so, das weißt du auch«, sagte sie sanfter. »Aber Groffin Steinbrecher wird seinen Sinn nicht ändern. Du kennst seinen Dickkopf so gut wie ich. Und er hat schlechte Ratgeber«, fügte sie leise hinzu.
Trurre sah sie an. Sein Blick war finster. »Du bist seine Ratgeberin«, sagte er knarrend.
Torills Lippen wurden zu einer dünnen Linie. »Das ist wahr und falsch zugleich«, erwiderte sie schließlich. »Manche hier sehen es nicht gerne, dass eine Frau diese wichtige Stelle innehat. Andere sind neidisch und wollen den Platz an des Königs Seite für sich selbst. Und wieder andere machen mir zum Vorwurf, dass ich deine Schwester bin …«
Sie biss sich auf die Zunge, als sie Trurres Miene sah. »Komm, mein Lieber, das ist alles unwichtig. Wir haben zu überlegen, was die Nachrichten für uns bedeuten, die du gebracht hast. Und ein leerer Bauch denkt nicht gut.« Sie knuffte ihn in die Seite. »Sag nicht, du hast keinen Hunger, das glaube ich nämlich nicht.«
Ein Lächeln glitt über sein Gesicht. Er nahm ihren Arm und ging mit ihr zur Treppe. Blakende Pechfackeln beleuchteten die schmalen Stufen, die steil hinunter ins Innere der Burg führten.
»Ich werde heute noch abreisen«, sagte er.
Torill blieb auf der engen Treppe stehen und sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Du wirst nicht heute noch abreisen«, sagte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Du wirst gefälligst mit mir und ein paar anderen überlegen, was wir jetzt unternehmen.« Sie hatte den Finger erhoben und tippte ihm aufgebracht gegen die Brust. »Du weißt genauso gut wie ich, was Hammerstirn und die anderen Speichellecker dem König raten werden.«
Trurre spuckte erbittert aus. »Ich habe die Botschaft gebracht, und du hast dich für Maßnahmen ausgesprochen. Schon klar!« Torill nickte nachdrücklich und stumm.
Die Treppe endete nach einem scheinbar endlosen Abstieg tief im Inneren der Festung, die weit in den Fels hinein- und hinuntergebaut war. Jeder Mensch oder Elb hätte das über ihm lastende Gestein als Bedrückung empfunden, aber Trurre dehnte seine Brust, als hätte er eine Lunge voll frischer Luft genommen.
»Ah«, sagte er. »Ah, ich hatte ganz vergessen, wie es ist, zu Hause zu sein.« Er sah sich mit neu gewonnener Energie um. »Wo wohnst du inzwischen? Als Beraterin des Königs doch bestimmt nicht mehr im Quartier der unverheirateten Frauen – oder?«
Torill verdrehte die Augen. »Nein, das bleibt mir erspart. Ich wohne im Witwentrakt, gleich neben Mutters Räumen. Wir teilen uns die alte Wohnung von Tante Oddlaug.«
Trurre sah sich um, als sie die immer leicht abwärts führenden Gänge hinunterschritten.
»Wie geht es Mutter?«, fragte er zögernd.
»Sie vermisst dich«, erwiderte Torill. »Sie hat es Vater sehr übel genommen. Ich glaube, sie haben eine Umdrehung lang nicht miteinander gesprochen,
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