Elchmus (German Edition)
verfilztem Haar. Sie wollte einfach richtig neu durchstarten, mit einer beruflichen Zukunft dazu. Sie ist jung und frei und trotz Job so gut wie pleite. Die Miete und das Ticket frisst in jedem Monat fast ihr ganzes Geld. Eigentlich bräuchte sie wirklich noch mindestens einen Anzug. Aber heute geht sie dann doch lieber nach Hause. Minus auf dem Konto kann sie jetzt noch nicht gebrauchen. 3 Paar neue Schuhe dahingegen schon. Von wegen Kleider machen Leute. Leute machen Kleider für viel Knete und für den langweiligen Job wird sie bestimmt keine Schulden machen.
Sie ist gerade erst hier angekommen. Ihr Abenteuer hat gerade erst begonnen. U-Bahnfahren gehört aber zu ihrem London-Abenteuer nicht dazu. Ist echt nichts für sie. Das weiß sie schon jetzt. Zu Lesen hat sie nichts dabei. Die Fahrt dauert sage und schreibe 45 Minuten. So lange fährt der NRW-Express von Dortmund nach Düsseldorf. Und das obwohl die U-Bahn immer nur kurz hält und ansonsten ganz schön rast. Unterirdisch.
Und sie nimmt sich vor, ab morgen mit dem Bus zu fahren. Oberirdisch. Will was von der Stadt sehen, bevor sie wieder weg muss. Zudem ist die Stimmung in der U-Bahn schlecht wie bei einem Familienausflug. Obwohl sich keiner kennt. Und sich keiner verfahren hat. Elke hat mit ihrer Familie zig Autoausflüge hinter sich. Die meisten haben im Streit geendet. Warum hatte man den Stau nicht umfahren? Warum musst du schon wieder zur Toilette? Und und und... Die U-Bahn kann sich nicht verfahren. Und der Fahrer muss auch nicht die Passagiere bei Laune halten. Ab morgen wird sie wirklich Bus fahren. Nur die U-Bahn macht sie gerade depressiv. Die Busse versprechen nicht nur einen besseren Ausblick, sondern auch bessere Laune. Und das nicht nur dank ihrer roten Farbe.
Bow Station. Endlich. Das Rauschen der vorbeifahrenden Autos auf der viel befahrenen Mile End Road zerrt nur kurz an Elkes Nerven und auch der pralle Mond drückt ihr keinen Schweiß mehr aus den Poren. Dreck liegt hier nicht auf den Straßen. Trotz nicht vorhandener Mülleimer. Auch in der U-Bahn gibt es keine. Bombenversteckgefahr. Endlich ist sie im Treppenhaus ihres viktorianischen Hauses angekommen, das in mehrere Einraumwohnungen aufgeteilt worden ist. Sie ist auch heute wieder zu müde, die Stufen zu zählen. Es fühlt sich falsch an, das nicht zu wissen. Aber das Shoppen hat ihr endgültig den Rest gegeben. Zumindest für heute. Sie fühlt sich trotz drei paar neuer Schuhe leer von innen.
„Gute Nacht“ , spricht ihr Kissen kurze Zeit später auf Deutsch zu ihr. „Gute Nacht“, sagt sie leise auf Deutsch zurück. So schnell kriegt sie hier keiner unter. Auch kein zu großer deutscher Kissenbezug für das kleine englische Schlafkissen.
7
............ „That was fun yesterday evening“, schreit Mick ihr am nächsten Morgen entgegen. „Wir waren so betrunken. Das war so lustig. Wir haben übrigens hunderte Worte für Betrunkensein. Wellied“, schnappte er. Dann holte er kurz Luft, dann schoss es nur so aus ihm heruas „Wankered, arseholed, battered, bollocksed, tanked, tankered, shitfaced, scoobied, pissed, pished, mashed, out of my head, crushed, floored, creamed, canned...“, zählte er auf, als ob diese Wörter überlebenswichtig für ihr Leben in England seien.
Aber Elke ist auch heute kein dankbares Mick-Publikum und könnte einfach nur kotzen. Wenn er nicht bald aufhört, wird sie losschreien. „... müssen wir unbedingt hingehen“, hört sie wieder. Sie nickt und fragt sich, wie der nur jeden Morgen aus dem Bett kommt? Er sieht noch nicht mal ansatzweise nach Sommer aus.
„...Barbecue“, sagt Mick und das hört sie dann wieder. Dieses Mal reagiert Elke einfach gar nicht mehr. Micks Anzug sitzt überhaupt nicht. Er greift gerade nach seiner Donald Duck-Krawatte, als ob diese ihm Halt geben könnte. Irgendwann später wird der Tag auch wieder lustig für ihn. Nach der Arbeit dank Bier, aber ganz bestimmt nicht dank lustiger Krawatte. Aber Scheiss drauf.
Sein Atem riecht aus der Nähe faul und muffig. Selbst das gut gebügelte weiße Hemd gibt bei ihm nichts her. Wenn Elke zaubern könnte, dann wäre Mick hier eins-zwei-drei weg und stattdessen Herr Kessner ihr neuer Kollege in der neuen Stadt. „So. Ich muss mal an die Arbeit“, sagt sie ganz bestimmt und vertreibt damit nicht nur Mick erfolgreich, sondern auch Herrn Kessner. „Dann hau mal rein“, antwortet Mick immer noch kein bisschen unfreundlich.
Er hat einfach nichts
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