Elchmus (German Edition)
das Geld aus der Tasche ziehen soll, als er einen alten Mann auf einen Rasenmäher statt in ein Auto gesetzt hat und ihn quer durch Amerika fahren lassen hat?
Und als sie sich dann doch an die Arbeit macht, ist es auch gar nicht so schlimm. Offenbar hatte man wirklich an sie gedacht, und sie war zumindest beschäftigt, so dass immerhin die Zeit verging. Irgendwann endet der Arbeitstag auch wirklich. Sie grummelt schnell „See you tomorrow“ in die Runde und wartet eine Antwort erst gar nicht ab. Bestimmt ist sie für alle der Partypooper. Sie kann förmlich hören, dass sie alle langweilig finden. Aber das ist ihr echt völlig egal. Schnurzegal. Piepegal.
Sie ist schon aus der Tür und hört nichts mehr. Sie denkt ans Smirten. Smirten mit Kollegen im Anzug. Kollegen, die nach der Arbeit zu Freunden werden. Kollegen, die im Prinzip ihr Leben leben, das sie gerade führt. Und lächelt über das Wort. Smirten. Der Begriff hat es dank Raucherverbannung aus den Gaststätten ins Lexikon geschafft. Smirten steht für Smoke-Flirten oder für Rauchen und Flirten. Ein Trendwort, das keiner braucht, aber doch wie Musik in ihren Ohren klingt.
6
............Vertrautes gibt es hier in London noch nicht. Gott sei Dank. Vertraute wären aber nicht schlecht. Ein Zuhause hat sie auch irgendwie nicht. Nur ein Zimmer. Mit einem Einzelbett, das einen derart hässlichen kackbraunen Holzaufbau hat, das es schon fast wieder schön ist. Außerdem kann man eine Pfundmünze einschmeißen, dann fängt das ganze Monster an zu wackeln und drückt einen die Federn so richtig schön tief in den Rücken. Luxusschmerz für die vielen Kröten Miete, die sie hier zahlt. Teppichboden im Badezimmer hat sie natürlich auch. Wie alle auf dieser Insel. Darin lebt bestimmt vieles. Herr Kessner hätte ihn ihr bestimmt sofort entfernt. Ihr persönlich fehlen aber die handwerklichen Fertigkeits-Reserven für so eine Arbeit nach der Arbeit und so langsam auch reicht es auch mit den Gedanken, die sie an und für diesen Typen verschwendet.
Einzelbetten heißen in England Single-Betten. Single ist sie auch, denkt sie und lacht über diese dumme Wortwahl und wie man nur lachen kann, wenn man junger Single ist und den Glauben an die Liebe noch nicht verloren hat. Irgendwie blöder Gedankengang, sagt sie zu sich selbst. Aber trotzdem. Ein Single-Bett bleibt meist nicht lange Single. Ein Double ist und sollte ein Doppelbett bleiben, aber ein Kingsize...? Ort eines flotten Dreiers oder einer absoluten Granate? Oder nur ein Macho-Gemach?
Irgendwie geht der Arbeitstag dann doch vorbei und sie geht nicht nach Hause, sondern fährt zum Picadilly Circus. Erklärtes Tagesziel aus dem Reiseführer. Ätsch. Herr Kessner sitzt jetzt bestimmt gelangweilt zu Hause. Mit seiner Frau. Im eigenen Garten, in dem der Rasen noch gemäht werden muss.
Sie läuft durch Londons Straßen. Versucht den Weg zur Oxford Street ohne A-Z zu finden und auch ohne Google.map auf ihrem deutschen Handy zu aktivieren. Erfolgreich. Das schreit nun wirklich nach Belohnung. Eigentlich wollte sie ja einen Adapter für ihr Kamera-Akku kaufen und ein englisches Handy oder zumindest eine Prepaid-Karte. Noch so ein Wort, das es in die deutsche Sprache geschafft hat. Ein Handy kommt für sie als Fotoknipse nicht in Frage.
Soll der Kessner doch mit seiner Frau zu Hause sitzen. Sie lächelt als sie einen Schuhladen erspäht. Geht doch. Die Ladenöffnungszeiten sind hier einfach phänomenal. Sie spürt wie die Nackenhaare sich vor Vorfreude kringeln. Belohnung für die so geschundene Seele. Sie probiert ein Paar an, dann noch eins und noch eins. Alle drei passen wie angegossen. Die Qual der Wahl. Dazu der Duft des Feierabends in der Luft. Der Duft nach neuem Leder. Die Musik rieselt leise aus den Boxen, umgarnt sie ganz sanft. Ihre Füße sind heute besonders schön. „Kommen Sie zurecht?“. „Ja, danke, ich nehme diese drei Paar“, hört sie sich sagen. Entscheiden für nur ein Paar kann sie sich heute nicht. London ist teuer? Von wegen. London ist teurer als teuer. Aber auch egal.
Dann steht sie glücklich wieder auf der Straße. Wie gestern nach dem Salsa, nur dieses Mal vollbeladen, hat aber keine Ahnung, was sie mit dem Rest des Abends noch anfangen soll. Dabei war sie gerade mal Anfang 20. Sie wollte nach London, um Karriere zu machen und Herrn Kessner zu vergessen. Sie wollte nicht irgendwo rumhängen und billiges Bier aus Literflaschen am Strand trinken, mit Dreadlocks im ungewaschenem
Weitere Kostenlose Bücher