Eldorin – Das verborgene Land (German Edition)
Herzens. Ein seltsames Gefühl durchströmte Maya. Sie fühlte sich
unbeschreiblich glücklich und gleichzeitig verspürte sie tiefe Trauer. Ähnliche Empfindungen hatte die Sprache der Elfen in ihr
ausgelöst, doch längst nicht so stark. Das Einhorn hob sein Haupt und blickte
Maya aus sprechenden Augen an. Diese Augen waren die schönsten, die sie jemals
gesehen hatte. Maya hätte die genaue Farbe nicht benennen können, denn sie
wechselte von tiefem Smaragdgrün bis hin zu strahlendem Saphirblau, durchsetzt
von goldockerfarbenen Lichtern. Nur die Augenmitte blieb samtschwarz. Maya
spiegelte sich darin. Lange stand es vor ihr und schien aus ihren Augen ihre
Geschichte zu lesen. Sie wagte nicht zu blinzeln, bis ihr fast die Tränen in
die Augen traten. Schließlich scharrte das Einhorn mit dem Vorderhuf und warf
den Kopf zurück. Leichtfüßig wie eine Tänzerin drehte es sich seitlich zu ihr
und ließ sie dabei nicht aus den Augen.
»Folge ihm«, wisperte Stelláris Maya zu.
Maya überlegte keine Sekunde. Warum auch? Sie
ließ Larin und Stelláris stehen und ging benommen wie im Traum neben dem
schönen Geschöpf her. Es bewegte sich graziös und fast geräuschlos. ›Das hat es
mit den Elfen gemeinsam‹, dachte Maya. Nach einer Weile entdeckte sie ein
Aufblitzen zwischen den Bäumen. Das Einhorn führte sie an einen saphirblauen,
spiegelblanken See mitten im Wald. Goldene Lichtreflexe tanzten auf ihm. ›Er
spiegelt die Farbe seiner Augen wider‹, begriff Maya erstaunt, und der See
färbte sich smaragdgrün. An seinem Ufer lagen dicke Felsbrocken verstreut, die
mit fiedrigem Frauenhaarmoos überzogen waren. Ein uralter Baumriese ließ seine
dicht belaubten Zweige so herabhängen, dass sie das Wasser streichelten. Maya
blieb am Ufer stehen, und das Einhorn sprang leicht wie eine Feder auf einen
der Felsen vor dem alten Baum und ließ sich zu ihrem Erstaunen darauf nieder.
In diesem Moment geschah die Verwandlung. Maya blinzelte. Von dem Fell des
Einhorns ging ein immer heller werdendes Strahlen aus. Es war von einem so
reinen und intensiven Weiß, dass seine Helligkeit den Augen wehtat. Maya konnte
kaum noch hinsehen, und doch vermochte sie den Blick nicht abzuwenden.
Plötzlich fiel das Licht in sich zusammen, und auf dem Felsen saß ein Wesen,
das so ganz anders aussah als das Einhorn, und gleichwohl erkannte man es in
ihm.
Ein Mädchen saß dort. Es war von so
überirdischer Schönheit, wie Maya es noch bei keinem Geschöpf gesehen hatte.
Seine nackte Haut schimmerte in einem sanften Weiß, und auch die Haare am Kopf
waren schneeweiß und so lang, dass sie den zarten Körper umspielten und in
wilden Strähnen bis in den See herunterfielen. Es hatte schwarze, lange
Wimpern, und seine Augen waren von wechselnder Farbe wie die des Einhorns. An
seiner Stirn befand sich eine kleine kreisrunde Narbe.
»Ich habe lange auf dich gewartet, Maya«, begann
dieses schöne Wesen zu sprechen. Maya konnte es immer nur anstarren. Seine
Stimme hatte einen wunderbar sanften und doch klaren Klang, und Maya wünschte
sich, es würde nie aufhören zu reden; denn diese Stimme nicht mehr zu vernehmen
würde sie zum Weinen bringen.
»Du weißt weniger, als du zu wissen glaubst, und
mehr, als du denkst«, sagte es. »Aber deine Fragen werden in jüngster Zukunft
beantwortet werden, und die Rätsel werden sich lösen. Begebt euch zum
Nebelwald. Geht euren Weg bis zum Ende. Du hältst den Schlüssel bereits in der
Hand. Ich gebe dir drei Namen mit. Sie lauten Smaragd, Rubin und Topas. Sie
werden euch aus Todesgefahr retten. Brecht morgen bei Sonnenaufgang auf. Reitet
zum Fluss Undin und wartet auf das Schiff.«
Es dauerte nur einen Wimpernschlag, schon war
das Mädchen aufgesprungen, und das Einhorn stand wieder vor Maya. Es wies mit
seinem Kopf in die Richtung des Pfades, auf den sie gekommen waren und stob
dann mit wogender Mähne in den Wald davon. Sein Glänzen blieb eine Zeitlang
über dem Felsen zurück, bis es sich auflöste, wie der Dunst sich auflöst, wenn
die Sonne scheint. Maya stand regungslos am Seeufer. Sie versuchte, das Bild
des Einhorns und den Klang seiner Stimme tief in ihrem Gedächtnis
einzuschließen. Eine Welle der Traurigkeit überkam sie. Es war fort. Sie
wusste, dass es nicht zurückkommen würde und wünschte, es hätte sie niemals
verlassen. Maya hätte nicht sagen können, wie lange sie hier am Wasser
verharrte. Sie war lange nicht in der Lage, sich aus ihrer Erstarrung zu lösen.
An den Zweigen der
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