Eldorin – Das verborgene Land (German Edition)
nicht nach einer Frage. Maya war sich
nicht sicher, was Fiona wissen wollte. Warum Shanouk ein Vampir war? Warum sein
Geheimnis nun entdeckt worden war? Sie entschloss sich, ihr die Wahrheit zu
sagen, so unbegreiflich und schmerzhaft sie auch war.
»Fiona, er braucht Blut. Es ist in ihm irgendwie
durchgebrochen, seit er hier im Nebelwald ist. Deshalb musste er sich immer
davonschleichen, um ein Tier zu töten.«
»Aber er hat nur Tiere getötet, nicht wahr?« Zum
ersten Mal schaute Fiona Maya wirklich an, allerdings mit seltsam flackerndem
Blick.
»Äh …« Maya durchlief es eiskalt. Sie
ahnte, worauf Fiona hinauswollte. ›Lass es nicht wahr sein‹, dachte sie. Hastig
sprach sie weiter. »Er hat nur Tiere getötet, aber das passierte immer öfter,
und er hätte jederzeit einen von uns töten können.«
»Das glaube ich nicht.« Es klang trotzig.
Maya stöhnte. »Fiona, er hat dich auf den Hals
geküsst, was meinst du, wieso?«
»Ich hätte es nicht erzählen sollen!«, rief
Fiona hitzig. »Deshalb kannst du doch nicht vermuten, dass er mich umbringen
wollte!« Ihre Blässe wich einem zornigen Rot.
»Nein, aber … Fiona bitte, warte doch!«
Fiona war entrüstet aufgesprungen und lief aus
der Höhle. Sie rannte fast in Zacharias hinein, der gerade seine Giftpfeile
überprüfte.
Fiona starrte ungläubig auf die schwarz
verfärbten Metallspitzen. »Was … warum hast du die Giftpfeile hier?«
»Ach, ich hab Stelláris vorhin welche gegeben,
wollt mal durchzählen, ob ich noch welche brauch«, murmelte Zacharias verlegen,
dem nun siedendheiß einfiel, dass das nicht unbedingt das war, was Fiona
beruhigen konnte. Er hätte sich auf die Zunge beißen können, aber die Worte
waren schon ausgesprochen.
»WAS? Ihr wollt damit … Nein! Das kann nicht
euer Ernst sein! Ihr könnt ihn doch nicht einfach umbringen, er hat schließlich
niemandem etwas getan!« Fassungslos sah Fiona von Zacharias zu Maya. »Wo sind
Stelláris und Larin? Ich sehe sie nirgends! Sie … sie sind hinter ihm her,
nicht wahr?«
Maya sah die Panik in Fionas Augen. »Nein, das
ist ganz anders«, beeilte sie sich zu versichern, »sie sind …«
Aber Fiona ließ ihr keine Zeit zu erklären, dass
die beiden wenige Meter von ihnen entfernt am Saum des Waldes das Ende des
Gespräches abwarten wollten und einfach nur von den Bäumen verdeckt wurden.
Fiona wartete die Antwort nicht ab. Sie fuhr mit einem Aufschluchzen herum und
stürzte kopflos zur Höhle zurück. Maya hatte erwartet, dass Fiona sich
schnurstracks hineinflüchten würde, um sich dort unter einer Decke zu
verkriechen und ungestört auszuweinen. Niemals hätte sie vermutet, dass ihre
Freundin, die sich im Waisenhaus vor nicht allzu langer Zeit vor Monstern unter
dem Bett gefürchtet hatte, allein in den Nebelwald laufen könnte. Doch genau
das tat sie. Sie ließ den Höhleneingang links liegen und Maya begriff, dass
Fiona Shanouk um jeden Preis warnen wollte. Sofort setzte sie ihr nach. Sie
schrie nach Stelláris und hoffte inständig, dass er sie hören würde. Zacharias
hatte ebenfalls nicht mit dieser Dummheit gerechnet. Sein verdutzter
Gesichtsausdruck wandelte sich um in Erschrecken.
»Mädchen, mach doch keinen Blödsinn!« Auch er
rannte los, obwohl ihm klar war, dass sie bei dieser schlechten Sicht im Wald
kaum eine Chance hatten, Fiona zu erwischen. Diese war schon so tief in das
grüne Labyrinth eingetaucht, dass sie augenblicklich vom Nebel verschluckt
wurde.
Maya stolperte über den wurzeldurchwachsenen
Boden dahin, den sie wegen der kniehohen, dichten weißen Nebelschicht nicht
erkennen konnte. Wo blieb Stelláris? Er hätte sie doch rufen hören müssen?
Fiona bahnte sich einen Weg durch das feuchte Blattdickicht; die weißen
Schleier zwischen den Bäumen verhüllten sie teilweise und gaben dann die Sicht
auf sie wieder frei. Plötzlich sah Maya vor sich eine Bewegung. Es ging alles
unglaublich schnell, sie konnte es fast nicht mit ihren Augen erfassen. Ein
Schatten löste sich aus dem Nebel, Fiona blieb erschrocken stehen und schrie
auf. Der Schatten sprang auf sie zu und packte sie. Maya erkannte im Dunst
goldene Haare wehen, die sich mit den roten Haaren Fionas vermischten. Shanouk
warf sie sich über die Schulter und tauchte mit ihr im Wald unter. Die
Geschwindigkeit seiner Bewegungen war unglaublich gewesen.
»NEIN!«, brüllte Maya verzweifelt.
Entsetzt stand sie mit Zacharias an der Stelle,
wo die beiden verschwunden waren. Fionas Schrei klang
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