Eldorin – Das verborgene Land (German Edition)
Gewissheit über Shanouk gebraucht. Stelláris hatte seit Langem vermutet,
dass Shanouks Großvater ein Vampir war und war ihm deshalb mit einem gewissen
Misstrauen begegnet. Er hatte als Kind vor langer Zeit unbeabsichtigt eine
Unterhaltung der Hage-Beauté Schwestern mitgehört, ohne dass ihm seinerzeit der
Sinn ihrer Worte aufgegangen wäre. Aus irgendwelchen Gründen hatte er das
Gespräch nicht vergessen und erst Jahre später begriffen, dass es vermutlich um
Shanouk gegangen war. Viele kleine Hinweise bestätigten seinen Verdacht. Er
hatte es immer als bedenklich empfunden, dass Shanouk als Lehrer arbeitete, in
dem Bewusstsein, dass dieses dunkle Erbe in ihm jederzeit durchbrechen könnte.
Vampire waren unberechenbar. Es lag Stelláris nichts daran, Shanouk
bloßzustellen, und so wussten nur Luna und Anais von seiner Vermutung. Sie
teilten seine Meinung, waren sich aber einig, dass Shanouk vor einer
Verwandlung bewahrt werden würde, solange er nicht in Kontakt mit anderen
Vampiren stand.
Stelláris hatte Larin erst davon erzählt, als
Shanouk zu einer Bedrohung wurde und sie ihn nicht mehr aus den Augen lassen
konnten. Zacharias hatte es ebenfalls sehr schnell erraten, und sie hatten
gemeinsam beschlossen, so lange wie möglich Stillschweigen zu bewahren. Shanouk
war besser zu kontrollieren, wenn er bei ihnen war, als dass sie damit rechnen
mussten, plötzlich von ihm aus dem Hinterhalt angefallen zu werden. Am meisten
sorgte sich Larin um Fiona. Er wusste, dass sie anziehend auf Shanouk wirkte,
und ahnte, wie sehr er sich zurückhalten musste, um seinem Verlangen nicht
nachzugeben, sich auf sie zu stürzen und ihr Blut zu trinken. Larin lief ein
kalter Schauer den Rücken hinunter.
Endlich standen die Bäume nicht mehr so dicht,
und der Nebel begann sich zu lichten – sie hatten die Wiese erreicht, und
zwar ganz in der Nähe der Stelle, hinter der der kurze Trampelpfad wieder in
den Wald zur Höhle führte.
Sobald sie aus dem Nebelwald traten, wurden sie
von Maya entdeckt, die nervös nach ihnen Ausschau gehalten hatte. »Bin ich
froh, dass ihr zurück seid … Was ist los?« Sie erstarrte, als sie die Gesichter
der beiden sah.
»Ist Fiona schon wach?« Stelláris blickte sich
unruhig um.
»N-nein, ich glaube nicht – zumindest war
sie es vor einer Viertelstunde noch nicht … Was ist denn passiert?« Maya
flüsterte unwillkürlich. Larin sah so merkwürdig aus, und Stelláris wirkte
grimmig. Irgendetwas war ganz und gar schief gelaufen. »Es geht um Shanouk,
nicht wahr? Geht es ihm nicht gut? Ist er verletzt?« Sie dachte an Fiona, und
Angst stieg in ihr hoch.
»Nicht verletzt.« Larins Stimme klang gepresst.
Mayas Herz krampfte sich zusammen. Was konnte es
sonst Schreckliches sein? »Sagt es mir doch einfach, ich bin ja nicht …«
»Er ist ein Vampir«, sagte Larin.
»Was?« Erst schien sie gar nicht zu begreifen,
was er gesagt hatte. Dann schlug sie fassungslos die Hände vors Gesicht.
»Nein«, stöhnte sie. »Nein, das kann nicht sein, das gibt es nicht.«
»Ich fürchte doch.« Stelláris ließ die Bäume
nicht aus den Augen, hinter denen die Höhle lag, in der sich Fiona und Max
befanden. Fiona war in Gefahr, auf keinen Fall durfte sie ohne Schutz draußen
herumlaufen. Eine kleine dunkle Rauchsäule über den Baumwipfeln zeigte an, dass Zacharias noch immer vor seinem
Feuer saß und den Bereich um den Eingang bewachte.
»Ihr entschuldigt mich«, murmelte Stelláris.
»Ich sage Zacharias lieber sofort Bescheid. Maya, kannst du es Fiona erklären?
Du kriegst das besser hin als ich.«
»Ja, natürlich.« Maya sah Stelláris betroffen
nach. »Seid ihr ganz sicher? Wie habt ihr es herausgefunden?«
»Ähem …« Larin fuhr sich ein wenig verlegen
durch die schwarzen Haare. »Wir sind uns sehr sicher … er, äh, hat gerade
gefrühstückt.«
Maya starrte ihn an. »Oh nein«, sagte sie
schwach. »… Er hat also Blut … getrunken?«
»Ja. Von einem Reh«, antwortete Larin.
Maya erschauerte. Ihr war übel. Dann fiel ihr
etwas ein, und sie wurde kreidebleich. »Hätte Shanouk … hätte er Fiona auch
beißen können?«
»Maya, darüber brauchst du nicht nachzudenken.«
Larin sagte es unnötig scharf. »Er hat sie
nicht gebissen. Quäl dich bloß nicht damit herum, was alles hätte passieren können .«
In Mayas Kopf lief gerade ein Film ab. Lose
Bildfolgen reihten sich aneinander und ergaben plötzlich Sinn: das tote Reh,
das sie ganz am Anfang gefunden hatten – ausgesaugt und
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