Eldorin – Das verborgene Land (German Edition)
ziemlich
alle Tiere, vorausgesetzt, sie konnten nicht stechen. Sie hatte obendrein
Glück, denn die Klasse behandelte gerade Einhörner. Frau Hage-Beauté war eine
stattliche Frau mittleren Alters mit kleinen grauen Löckchen und einer
Lesebrille, über die sie mit ihren
blauen Augen in die Klasse spähte. Sie schien eine Vorliebe für Schmuck zu
besitzen, denn von ihrem Hals baumelten drei Ketten in verschiedenen Längen und
unterschiedlicher Machart. Die eine erinnerte an aufgefädelte spiralige Nudeln,
die andere schien aus Bernstein und Kieseln zu bestehen. Bei der dritten fragte
sich Maya, welcher Vogel seine lila Schwanzfedern hatte lassen müssen. Die
Ohrringe fesselten Mayas Aufmerksamkeit besonders. ›Warum in aller Welt‹,
überlegte sie, ›hat sie so etwas wie einen Teebeutel an den Ohren hängen?‹
Frau Hage-Beauté hatte sie überaus freundlich
begrüßt und der Teebeutel dabei gefährlich geschwankt. Maya musste sich
bemühen, nicht die ganze Zeit darauf zu starren, und merkte, dass es Fiona und
Max ähnlich erging. Die anderen Schüler schienen an solche Mode gewöhnt zu
sein, gleichmütig, wie sie aussahen.
Die Lehrerin versprach ihnen gleich zu
Stundenbeginn, nötigenfalls Nachhilfeunterricht zu geben. Da in ihren Fächern
aber die jeweiligen Themen immer abschlossen, ohne aufeinander aufzubauen, schien
es nicht weiter problematisch zu sein, den regulären Unterricht zu besuchen.
Sie erfuhren, dass in diesen Wäldern einige
Einhörner lebten, denn wo Elfen wohnen, seien auch Einhörner nicht weit. Maya
nahm sich sofort vor, eines zu suchen, aber laut Frau Hage-Beauté war gerade
das keine gute Idee. Einhörner versteckten sich vor den Menschen und zeigten
sich der Legende nach nur dann, wenn man sie am wenigsten erwartete, aber am
dringendsten brauchte. Einzig und allein Menschen, die die Sprache der Tiere sprächen,
sei es vergönnt, ein Einhorn zu sehen.
Das Horn der Einhörner habe magische Kräfte. Man
sage ihm nach, Wunden heilen zu können. Leider gebe es dafür lediglich
mündliche Überlieferungen.
Maya hörte sehr aufmerksam zu. Sie war ein
bisschen traurig, dass es offensichtlich so schwierig war, ein Einhorn zu
Gesicht zu bekommen.
Wider Erwarten erwies sich Pflanzen- und
Heilkräuterkunde als weniger langweilig als angenommen. Frau Hage-Beauté hatte
eine in ihrem Gewächshaus gezogene Dictamnus-Staude mitgebracht. »Die Dictamnus
blüht normalerweise im Sommer, ich habe einige Exemplare bereits jetzt zum
Blühen gebracht. Sie wird auch ›Brennender Busch‹ genannt, denn bei starker
Sonneneinstrahlung fangen die ätherischen Öle, die die Pflanze absondert, zu
brennen an. Man schreibt den Ölen dieser kleinen, rosaweiß blühenden Pflanze
zu, eine einschläfernde Wirkung auf Drachen zu haben. Nun, das habe ich selbst
leider nie ausprobieren können.« Frau Hage-Beauté sah tatsächlich ein wenig
betrübt aus, weil sie bisher nie in die Situation gekommen war, einem
gefährlichen feuerspeienden Drachen ein Büschel Kräuter unter die Nase zu
halten, das ihn zum Einschlafen bringen sollte. »Schlagt bitte euer Buch auf
der Seite 38 auf.«
Maya kramte ihr Buch hervor. Sie hatte vorher
gar keine Zeit gehabt, es zu betrachten. Schon der Umschlag war ungewöhnlich.
Er duftete. Sie roch daran – der Geruch war gar nicht so unangenehm, fand
sie.
Frau Hage-Beauté hatte Mayas Schnüffeln am
Einband gesehen und lächelte. »Was ihr neuen Schüler nicht wissen könnt: es ist
mir gelungen, den Duft der Verpiss-dich-Pflanze dauerhaft auf unser Schulbuch
zu übertragen. Der Geruch dieser Minze wurde ursprünglich gegen Katzen im
Garten entwickelt, die dort so gerne in lockerer Erde ihr Geschäft verrichten.«
Maya sah die Lehrerin vollkommen perplex an.
Deren Lächeln wurde breiter. »Ich habe die Wirkung des Duftes ein wenig
verändert. Wird dieses Schulbuch nicht häufig genug in die Hand genommen,
verbreitet es bald einen Gestank aus faulen Eiern. Nicht wahr, Caiman, deine
Mutter hat sich kürzlich bei mir beschwert, dass das Buch so ekelerregend
rieche. Behandelt man es mit Sorgfalt und sieht man oft genug hinein, verströmt
es einen lieblichen Duft, den man immer um sich haben möchte … Doch zurück zu
unserer Dictamnus …«
Für Maya war es eine faszinierende
Unterrichtsstunde. Sie fand es schade, dass sie wie im Flug vergangen war und
nach einer kurzen Pause der nächste Lehrer das Zimmer betrat. Da sie weiterhin
mit ihrem Buch beschäftigt war (inzwischen roch es nach
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