Elea: Die Träne des Drachen (Band 1) (German Edition)
verborgen. Jeweils links und rechts von dem Torbogen stand ein königlicher Krieger mit demselben Brustpanzer wie ihn Jadora und seine Männer trugen. Sie salutierten Maél und dem Hauptmann, von denen nur letzterer den Gruß erwiderte. Die Brücke war nicht sehr breit. Vielleicht etwa so breit, dass gerade eine Pferdekutsche auf ihr fahren konnte. Sie führte über einen Fluss, den man aufgrund der tiefen, wabernden Nebelschwaden nur hören, aber nicht sehen konnte. Sein Rauschen war so laut, dass es alles zu übertönen schien. Es musste sich um einen schnell fließenden Fluss handeln, der entweder Hochwasser führte oder aufgrund von Stromschnellen reißend durch sein Bett floss.
Als Elea ihren Blick vom Boden in die Höhe vor sich schweifen ließ, stockte ihr jäh der Atem. Für einen kurzen Moment lugte durch die Nebelschwaden ein Berg hervor, auf dem das Schloss in seiner ehrfurchtgebietenden Gewaltigkeit prangte. Sie konnte gerade noch eine schwindelerregend hohe Mauer und zahlreiche Türme mit Kegeldächern erkennen, bevor sich eine neue Nebelschwade wieder davor schob. Eleas Befürchtung bestätigte sich. Das Schloss, das viel mehr den Eindruck einer uneinnehmbaren Festung vermittelte, löste in ihr ein neues Grauen aus, das ihren Magen, der sich inzwischen auf die Hälfte seiner Größe zusammengekrampft hatte, noch mehr zusammenschrumpfen ließ. Jemand, der in so einem Gemäuer freiwillig lebt, muss ebenso furchterregend sein. Das soll nun wer weiß für wie lange mein neues Zuhause werden! Elea wusste, dass sie sofort etwas unternehmen musste, wenn sie nicht ohnmächtig werden wollte. Ihr Atem ging immer flacher und ihr Herz raste. Ihr blieb nichts anderes übrig, als eine warme Welle für sich selbst aufzubauen, um nicht in ihrer Panik und Verzweiflung unterzugehen. Sie schloss ihre Augen und konzentrierte sich auf ihr schönes, unbeschwertes Leben, das sie bei Albin und Breanna und ihren Geschwistern geführt hatte. Sie dachte sogar an Kaitlyns Geburt, weil sie bei dieser die stärkste schöne Empfindung hatte, wenn man von den überwältigenden Gefühlen absah, die sie bei bedeutsamen Erlebnissen mit Maél empfand. Dieser Erinnerungen durfte sie jedoch nicht antasten, da sie in wenigen Augenblicken König Roghan und Darrach unendlichen Hass gegenüber dem Mann vorspielen musste, den sie in Wirklichkeit mehr als ihr Leben liebte. Sie versetzte sich in einen Zustand höchster Konzentration, in dem sie aufhörte, um sich herum etwas zu hören und sehen. So bemerkte sie auch nicht, wie sie nach einer Weile durch das riesige Tor in der Wehrmauer in das Innere der königlichen Festung gelangten.
Kapitel 2
Laute, zum Teil schreiende Stimmen holten Elea schonungslos aus dem tranceähnlichen Zustand in die Realität zurück. Eine darunter kannte sie nur zu gut: Es war Maéls Stimme, der wie immer Befehle in rüdem Ton erteilte. Sie öffnete die Augen und sah sich und ihre Begleiter in einem riesigen Innenhof stehen, der von wuchtigen, mehrstöckigen Gebäuden umgeben war. Zahlreiche Menschen wie Krieger, aber auch Männer und Frauen in herkömmlichen Kleidern des Volkes gingen eifrig ihren Beschäftigungen nach. Plötzlich sah sie aus dem Augenwinkel Maél mit energischen Schritten auf sie zuschreiten.
Jetzt ist es also soweit.
Er hatte ihren Bogen, leeren Köcher und Rucksack mit dem Wolfsfellumhang um seine Schulter gehängt. Als sich ihre Blicke trafen, liefen ihr Eisschauer den Rücken hinunter und ihre Kehle wurde eng. Er fixierte sie aus kaltherzigen, hasserfüllten Augen.
Er wird seine Rolle zweifellos perfekt spielen.
Er hatte sie noch nicht ganz erreicht, da knurrte er ihr für alle unüberhörbar auch schon zu: „Seid Ihr da oben festgewachsen oder hat Euch Euer Mut jetzt doch verlassen? Los, runter mit Euch!“ Elea musste schwer schlucken. Dann warf sie ihm aber einen ihrer giftigen, inzwischen etwas aus der Übung geratenen Blicke zu, und versuchte, vorsichtig ihre steif gefrorenen Glieder von Jadora zu lösen, der sich schon eine geraume Zeit lang nervös räusperte.
Maél dauerte alles viel zu lange. Er griff die junge Frau grob am Arm und zog sie einfach vom Pferd, sodass sie auf den Boden fiel. Elea bedachte ihn mit allerlei Beschimpfungen, die er aber ignorierte. Er stellte sie ungeduldig wieder auf die Beine. „Los, kommt! Der König wartet schon auf Euch.“ Er hielt ihren Arm wie in einem Schraubstock eingespannt und zog sie mit sich auf eine Treppe zu. Sein eiserner
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