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Eleanor Rigby

Eleanor Rigby

Titel: Eleanor Rigby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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Fähigkeiten hatten stark nachgelassen. Er zitterte, er krampfte, und selbst die Handhabung eines Löffels wurde so zu harter Arbeit. Ich musste ebenso sehr darauf achten, dass ich ihn bei allem Bemuttern nicht wie ein kleines Kind verhätschelte, wie ich lernen musste, ihn als meinen Sohn und gleichzeitig als Mann zu behandeln.
    Ein paar Tage später erlitt Jeremy einen Rückfall — einen Gripperückfall wie ein versiffter Feudel in der stinkenden Achselhöhle eines Gorillas, einen Rückfall, für den keine Metapher zu ekelhaft ist. Ich verbrachte meine Tage in der Wohnung, trocknete Jeremy den Schweiß von der Stirn und tat all das, was, wie man mir in meiner Kindheit erzählt hatte, eine gute Krankenschwester tut. Ich brauchte praktisch keine Anleitung - dieser Instinkt muss uns angeboren sein, so wie Vögel wissen, wie man ein Nest baut.
    Jemanden zu pflegen ist ziemlich seltsam — es ist öde und auch wieder nicht. Irgendwie so, wie wenn man in einem Haus ein komisches Geräusch hört. Man erstarrt, spitzt die Ohren und lauscht, ob es sich wiederholt - nur dass man bei einem Kranken unablässig in dieser Erstarrung verharrt und auf jede noch so kleine Veränderung im Zustand des Patienten horcht.
    Einmal raffte sich Jeremy dazu auf, lustlos ein bisschen an der roten Küchenwand herumzustreichen, aber ich schickte ihn wieder ins Bett.
    In seinen klaren Momenten versuchte er mich zu beruhigen, indem er mir dumme Fragen stellte.
    »Mom, wieso schmeckt Wasser nach nichts?«
    »Weil wir aus Wasser bestehen, deshalb.«
    »Mom, warum ist es so angenehm, Geld zu haben?«
    »Weil ...« Mir fehlten die Worte. Ja, warum eigentlich?
    Jeremy sagte: »Du bist bestimmt nicht der Typ, für den Geldausgeben einen besonderen Reiz hat, Mom.«
    »Ich? Nein. Aber mir ist durchaus klar, dass es mir Sicherheit verleiht. Und die braucht eine unverheiratete Frau meines Alters, egal was für eine Position sie hat ...«
    »Aber hast du noch nie einen Haufen Kohle für etwas vollkommen Sinnloses, aber Tolles verprasst?«
    »Zum Beispiel?«
    »Keine Ahnung. Chinchilla-Unterwäsche. Einen männlichen Stripper, der für dich Crepes flambiert und dich dann mit seiner Zunge auszieht.«
    »Nein.«
    »Irgend so was solltest du aber mal tun. Wenn ich nicht so am Ende wäre, würde ich dein Geld nur allzu gern für dich ausgeben.«
    »Sei nicht so negativ. Du bist nicht am Ende, und ich würde dir gern helfen, mein Geld auszugeben.«
    Ehrlich gesagt habe ich vorhin etwas untertrieben. Ich habe sehr wohl eine stolze Summe auf der hohen Kante. Ich bekomme ein gutes Gehalt, das ich nicht ausgebe, und ich spekuliere an der Börse, wo ich meist meiner Intuition folge und fast immer gewinne. Das ist eigentlich nur eine Frage des gesunden Menschenverstands. Anfang der Neunziger habe ich zwanzig Aktien gekauft, weil ihr Name das Wort Micro enthielt. Da ich sie zum richtigen Zeitpunkt verkauft habe, hat allein diese Entscheidung meine Rente gesichert. Gleichzeitig muss man Aktien von Unternehmen kaufen, die Suppe und Zahnpasta herstellen, denn das werden die Leute immer brauchen, egal wie sich die wirtschaftliche Lage entwickelt.
    Um genauer zu sein: Ich bin reich, und es ist tatsächlich seltsam, dass ich nichts für mich selber ausgebe. Aber wenn man allein lebt, ist Geld nun mal das Einzige, was einem Sicherheit verleiht. Sicherheit wovor? Davor, mitten in der Nacht verschleppt zu werden und zu ProteinwafFeln für Leute verbacken zu werden, die in einer Beziehung leben. Vor der Angst, mit achtzig im Altersheim zu landen und mich mit einem anderen reichen Menschen darüber zu zanken, wer am Nachmittag meine Windeln wechseln soll. Ein reicher Mann ist immer einfach ein reicher Mann, aber eine reiche Frau ist nur eine arme Frau, die zufälligerweise Geld hat. Ich sagte: »Eigentlich mache ich mir mein Geld doch zunutze - um meine Familie in Schach zu halten.«
    »Wie denn?«
    »Krass gesagt damit, wen ich in meinem Testament bedenke und wen nicht. Das ist zwar geschmacklos und schäbig, aber es bedeutet Macht, und das gefällt mir. Wenn ich morgen von einem Bus überfahren werde, würden sie kaum Aufhebens davon machen und anschließend genüsslich mein Testament verlesen.«
    »Du hast eine zu schlechte Meinung von dir.«
    »Die einzige Ausnahme wäre Mutter. Sie hat kein finanzielles Interesse an mir, aber sie könnte es kaum erwarten zu erfahren, wer was abkriegt.«
    Schweigen.
    Ich sagte: »Ich muss wohl nicht extra erwähnen, mein Sohn, dass dein

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