Eleanor Rigby
weiß zum Beispiel noch, dass Scarlet Halley auf dem Rückflug von Rom eine heftige Panikattacke hatte, gleich nachdem unser Kapitän uns mitgeteilt hatte, dass wir gerade Reykjavik überflögen. Sie begann zu keuchen wie ein Pferd, das sich ein Bein gebrochen hat und instinktiv weiß, dass sein letztes Stündlein geschlagen hat. So etwas hatte ich noch nie erlebt, und ich fand das Ganze höchst interessant.
Die Stewardess zerrte Scarlet hinter den blauen Vorhang, der die Business-Class von der Proletarierklasse trennt. Da Mr. Burden nirgendwo zu finden war - er saß irgendwo im Raucherbereich und kippte sich einen Whiskey nach dem anderen hinter die Binde —, ging ich aus Neugier mit und konnte der Crew das Wichtigste über unsere Reise erzählen. Ich erinnere mich an den Geruch von Toilettenreiniger, den Mief von aufgewärmtem Essen und den klirrenden schweren Getränkewagen. Scarlet lehnte an der Tür mit dem großen Griff — die, aus der man mit einem Matchbeutel voller Hundert-Dollar-Scheine über der Schulter mit dem Fallschirm abspringt. Zu Scarlets Glück war ein Arzt an Bord, der sie mit Pillen vollstopfte, und den Rest des Heimflugs verbrachte sie in einer Art Schwebezustand.
Später stellte sich heraus, dass auch sie schwanger war, aber ich glaube nicht, dass das irgendwas mit ihrer Panikattacke im Flugzeug zu tun hatte. Als wir über der Hudson Bay waren, ging mir auf, dass Scarlet womöglich schon während der ganzen Reise kurz vorm Durchdrehen gewesen war, doch erst als sie wusste, dass sie sicher auf dem Weg nach Hause war, gestattete ihr Unterbewusstsein ihrem Körper auszurasten. Ich glaube, so funktionieren wir nun mal. Man denke nur an den 1 Januar 2000 - da begannen all diese alten Leute, die gerade noch bis zum großen Spektakel am 31. Dezember 1999 bei der Stange geblieben waren, plötzlich zu sterben wie die Fliegen. Ich glaube, wir alle haben die Fähigkeit in uns, das entscheidende kleine bisschen länger durchzuhalten. Bezogen auf Scarlet hinkt der Vergleich 1 vielleicht ein wenig, aber es ist trotzdem etwas dran.
Ich erwähne diesen Zwischenfall, weil es mit Jeremy erst von dem Moment an rapide bergab ging, als er bei mir eingezogen war. Vielleicht mache ich mir etwas vor, aber ich glaube nicht. Gleich nach dem Nachmittag, als er zum ersten Mal mit Donna zum Bowling gegangen war, kam er nach Hause, setzte sich auf die Couch und sagte zu mir: »Ich glaube, irgendwas stimmt nicht.«
»Womit?« »Mit mir.«
»Wieso? Was ist denn?«
»Ich fühle mich ... vergrippt.«
»Hast du heute deine Medikamente genommen?«
»Nein. Dafür ging es mir zu gut.«
»Leg dich hin.«
In jenem Jahr ging eine schlimme Sommergrippe um, und während ich kleine dreieckige Thunfisch-Sandwiches zurechtschnitt und die Rinde entfernte, hoffte ich, dass es nur das war, bloß eine Grippe.
»Wie war's beim Bowling?«
»Die Idee an sich ist lustiger, als es wirklich zu tun.«
»Hast du gewonnen?« Mir wurde klar, dass ich gar nicht wusste, wie man beim Bowling gewinnt. Touchdowns? Homeruns?
Jeremy sagte: »Es geht dabei weniger ums Gewinnen als darum, sich Schuhe auszuleihen und Granitas zu trinken.«
»Hat es Donna gefallen?«
»Weiß ich nicht. Sie hat mich mit Nettigkeiten überschüttet, wie die Menschen es nun mal mit ihren offiziellen Kranken tun.«
»Hmm. Sie hat es bestimmt nur gut gemeint.« Ich schwor mir, kein Wort mehr über Donna zu verlieren. »Wirst du sie wiedersehen?«
»Ich bezweifle es. Das ist mein voller Ernst: Ich glaube wirklich, dass sie in mir bloß den Kranken sieht, um den sie sich kümmern kann.«
Wir aßen die Sandwiches, und ich glaubte schon, es ginge ihm besser, aber als wir fast fertig waren, sagte er »Oh-oh« und legte sich aufs Sofa. Seine Augen fixierten einen Punkt in weiter Ferne.
»Jeremy, ist alles in Ordnung? Jeremy?«
Es ging ihm gut. Er sagte: »Ich sehe die Farmer.« »Liegst du bequem? Brauchst du eine Decke?« Ich holte ihm ein Kissen.
»Ja, ich sehe die Farmer.«
»Wirklich? Was machen sie?« Zu meiner Entschuldigung muss ich sagen, ich bin auch nur ein Mensch. Natürlich fand ich es furchtbar, dass er krank war, aber ein Teil von mir rief Hurra!, als ich merkte, dass Jeremys Visionen zurückkehrten.
»Wir sind wieder auf der Straße, dort, wo die Frauenstimme ihnen gesagt hat, dass sie auf sich allein gestellt sind. Die Straße ist staubig. Die Kaninchen auf den Feldern huschen in ihre Löcher. Die Vögel sind verschwunden. Die Farmer wissen nicht
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