Eleanor Rigby
neben einer Wechselstelle geschoben worden und piepste vor sich hin. Einer der Deutschen ging hinüber und schlug auf das Armaturenbrett, woraufhin im Terminal vollkommene Stille herrschte.
Wir marschierten hinaus auf die Zufahrt vor dem Ankunftsbereich. Dort stand kein einziges Auto, und die Hitze verzerrte die Flughafengebäude zu einer Fata Morgana. Es war kein Verkehrslärm zu hören, und der Himmel war frei von Flugzeugen. Außerdem war es völlig windstill. Wir hätten ebensogut in einem Weizenfeld in Manitoba stehen können.
Ich wurde in einen gepanzerten Transporter geleitet. Links und rechts von mir nahm jeweils ein Soldat Platz, und drei setzten sich mir gegenüber hin. Keiner von ihnen sagte ein Wort. Nachdem wir ein paar Minuten gefahren waren, klopfte vorn jemand, und wir hielten. Ein weiterer Soldat stieg zu, und da sah ich das Schild »Mörfelden«.
Ein paar Minuten später parkten wir in einer Garage, von der aus ich in meine Einzelzelle eskortiert wurde. Ich rechnete nach: Vom Schinkensandwich bis zur Einzelhaft hatte es nicht mal eine halbe Stunde gedauert.
Und das ist, mal abgesehen von der überspannten Ms. Greenaway, die Geschichte meiner Verhaftung. Ich war dafür verantwortlich, dass einer der größten Flughäfen der Welt auf dem Höhepunkt der Reisesaison am hellichten Tag komplett evakuiert wurde. Ich!
~59~
Ich hatte genug Krimiserien und -filme gesehen, um zu wissen, wie es weitergehen würde: ein hell erleuchteter Verhörraum. Ein Mann befragte mich, während fünf andere, deren Funktion ich nicht kannte, von ihrem Platz an der Rückwand zuschauten.
Der einzige Unterschied gegenüber Film und Fernsehen war ein Teller mit Lebkuchen, der auf einem Papierdeckchen auf einem kleinen Tisch stand.
Der Beamte, der mich verhörte, war ein dünner Mann, der eher wie ein Psychologe wirkte als wie ein Polizist oder jemand vom Militär. Ich fragte ihn nach seinem Namen: Mr. Schröder. Dann sagte ich: »Sind Sie von der Regierung? Woher soll ich wissen, dass Sie keine Terroristen sind, die sich als Polizisten ausgeben?«
»Sie haben zu viel Phantasie, Miss Dunn.«
»Ich habe nichts dergleichen. Mein Leben ist die reine Praxis. Ich mag praktische Dinge.«
»Wissen Sie, weshalb Sie hier festgehalten werden, Miss Dunn?«
»Nein.«
Mr. Schröder wirkte geradezu gelangweilt. »Miss Dunn, was machen Sie in Kanada?«
»Ich arbeite bei einer Firma namens Landover Communication Systems. Ich sitze auf einem Aeron-Drehstuhl und verbringe meine Tage damit, Elektronen hin- und herzuschieben.«
Das verschlug ihm zuerst die Sprache, aber dann begriff er. »Ein Witz?«
»Nein. Witze werden stets nur auf meine Kosten gemacht.«
»Sie waren unterwegs nach Wien, Miss Dunn. Darf ich fragen, warum gerade nach Wien?«
Ich dachte nach. Um diese Frage korrekt zu beantworten, hätte ich ihm meine ganze Lebensgeschichte erzählen müssen. Ich wäre gezwungen gewesen, der Welt die Wahrheit über Jeremys Vater zu enthüllen. Ich kam mir vor wie eine dieser Hollywood-Schauspielerinnen, die sich weigern, den Namen des Vaters ihrer Kinder preiszugeben. Ich sagte: »Ich dachte, in Wien ist es bestimmt schön — und ganz anders als zu Hause.«
»Das war also eine willkürliche Entscheidung?«
»Ja. Nein. Ich habe mir vor Jahren die Weisheitszähne ziehen lassen und unter dem Einfluss von Schmerzmitteln The Sound of Music gesehen. Das hat mich wirklich verändert.«
»Ihre Ironie können Sie sich sparen, Miss Dunn.«
»Das war nicht ironisch gemeint, Mr. Schröder. Rufen Sie meinen Zahnarzt an.«
»Miss Dunn, nur damit Sie's wissen: Die kanadische Regierung hat unserem Ersuchen stattgegeben, all Ihre Familienangehörigen, Ihre Freunde und die Freunde Ihrer Freunde zu verhören. Wir werden Ihre Kollegen und Ihre Nachbarn befragen, und wir werden Ihre Wohnung durchsuchen - mitsamt allen Dokumenten, die sich darin befinden, und all Ihren Computerdateien. Dann gibt es nichts mehr, was wir nicht über Sie wissen.«
»Es gibt über mich nichts zu wissen. Mein Leben ist langweilig.«
»Wir wissen beide, dass das nicht wahr ist, Miss Dunn.«
Sobald sie meine Telefonate überprüften, würden sie den Anruf von Herrn Bayer finden, und das war's. Ich fand, ich könnte sie ebenso gut auf die Folter spannen; endlich einmal hatte ich Macht. Ich sagte: »Ich glaube, Sie drohen mir, und das kann ich nicht ausstehen. Ich bin ein friedfertiger Mensch. Wenn Sie mir nicht mehr darüber erzählen, was hier vorgeht, sage ich kein
Weitere Kostenlose Bücher