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Electrica Lord des Lichts

Electrica Lord des Lichts

Titel: Electrica Lord des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
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dunkelblauen Augen über die Gruppe. Cayden glaubte, sein Herz würde ein paar Schläge aussetzen, als er in die feuchtglänzende Tiefe starrte. Sie konnte ihn unmöglich gesehen haben. Niemand beachtete einen Trapper auf der Durchreise. Im nächsten Moment erstrahlte ihr Antlitz beim Anblick ihrer Tante. Sofort fing die Menge an, sich zu zerstreuen, nachdem die Neugierde befriedigt und das Geheimnis der Fremden als Nichte der Witwe Meggie gelüftet worden war.
    In den nächsten Jahren verband er jeden Besuch bei Sean damit, Sue zuzusehen, wie sie erwachsen wurde. In den frühen Morgenstunden oder bei Einbruch der Dämmerung zog er es vor, über die Dächer der Häuser zu ziehen, wo ihn niemand entdecken würde. Nur selten bewegte er sich durch die gewundenen Gassen. Ihr zierlicher Sonnenschirm sorgte damals noch für eine Weile für allgemeine Belustigung, doch gesehen hatte ihn niemand mehr. Auch die feinen Kleider verschwanden, wurden zunehmend ersetzt durch alltagstaugliche Röcke mit geschnürten Leibchen. Doch ihrem strahlenden Lächeln konnten die grauen Gewänder ebenso wenig anhaben wie dem steten Glanz in ihren Augen.
    Dennoch war Sue Beaton vom ersten Tag an anders als die Mädchen im Dorf. Sogar beim Schleppen von Wassereimern schritt sie in aufrechter Haltung mit hoch erhobenem Kopf vom Brunnen bis zum Haus ihrer Tante. Ihr Gang, leicht wippend, ließ ihre Rocksäume glockig um ihre Fesseln schlagen. Längst hatte sie die winzigen Schnürsandaletten eingetauscht in bequemes Holzschuhwerk. Doch selbst damit war sie elegant. Oft wirkte sie abwesend, schien ihre Umgebung kaum wahrzunehmen. Bald war Sean an ihrer Seite aufgetaucht, was Cayden mit Genugtuung erfüllte. Durch sie war Sean vor den Anfeindungen der anderen Burschen geschützt. Öfter hatte er erstaunt beobachtet, wie Sue mit vor Wut rosigen Wangen ihren Wassereimer einem dieser Rüpel hinterherschleuderte. Sie beschützte den geistig behinderten Sean mit der ganzen Kraft ihres Zorns.
    Das Gefühl in Caydens Brust war nie verschwunden, behielt das Bild in Erinnerung von dem Mädchen aus gutem Hause. Irgendwann war sie erwachsen geworden. Sean bedurfte nicht mehr ihres Schutzes, wohl aber ihrer Gesellschaft. Mit gemischten Gefühlen sah Cayden dem Tag entgegen, an dem die Tochter eines einst wohlhabenden Mannes fortgehen würde, um zu heiraten.
    Er erreichte das Haus am Ende der Straße. Das Papier des Päckchens unter seinem Arm knisterte empört, doch sonst blieb alles still. Sue und ihre Tante mussten wie vermutet bereits schlafen, denn hinter keinem der Fenster machte er Licht aus. Trotzdem ging er ums Haus und wagte einen vorsichtigen Blick durch das Fenster zur Wohnstube, in der er sie oft beim Schreiben beobachtet hatte. Er hätte einiges darum gegeben, lesen zu dürfen, was ihrem wachen Verstand entsprang. Doch auch hier lag alles im Dunkeln. Leise seufzend ging er zurück und legte das Päckchen vor die Tür. Wie immer widerstand er dem Drang, zu klopfen und es ihr selbst zu überreichen. Ihr seinen Dank auszusprechen für ihre Zuwendung gegenüber Sean, für ihre bloße Existenz.
    Er würde Sue und Sean weiter beschützen, auch wenn er in Zukunft auf der Hut sein musste. Für eine Weile würde er sich vom Dorf fernhalten müssen, bis er herausgefunden hatte, ob Luthias im Begriff war, zurückzukehren. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten, denn wenn der Baron wollte, würde er ihn finden. Nicht umgekehrt.
    Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012

Kapitel 5
    „W
ir müssen gehen, Seine Lordschaft kehrt bald zurück.“
    Die raue Stimme der Zigeunerfrau riss Sue aus ihrer Erstarrung. Langsam hatten sich ihre Augen auf die ungewohnte Helligkeit eingestellt. Noch immer blickte sie vom Türrahmen aus in den taghell erleuchteten Raum, in den vermutlich der gesamte Marktplatz von Lochdon hineingepasst hätte. Sie wagte kaum zu atmen. Glänzender Parkettboden erstreckte sich vor ihr wie die stille Oberfläche eines Sees. Unzählige Lichter spiegelten ihren Schein wider, so weit das Auge reichte. Jedes einzelne leuchtete heller als hundert Kerzen. An Wandhalterungen angebracht säumten sie den weitläufigen Saal, unterbrochen von Porträts oder reich verzierten Spiegeln, auch dort, wo man normalerweise Fenster vermutete. Geblendet wischte sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel und trat in den düsteren Flur zurück.
    „Von welchem Lord sprichst du überhaupt?“ Sue fühlte Ungeduld aufsteigen.

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