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Electrica Lord des Lichts

Electrica Lord des Lichts

Titel: Electrica Lord des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
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einer Kirchturmglocke durch seinen Kopf. ,Wenn das so weitergeht, behaupten die Leute noch, die Molland-Hexe sei auferstanden.‘
    Er hatte eine Weile in der Höhle ausharren müssen, um seine Fassung wiederzugewinnen. Die unerwartete Erinnerung an Alice Molland drohte sein Herz zu zerreißen. Ein längst vergangener Schmerz, von dem er geglaubt hatte, ihn überwunden zu haben. Alice würde ganz sicher nicht auferstehen. Ihre Asche hatte Cayden in ein Tongefäß gefüllt, während die Überreste des Scheiterhaufens noch glühten. Seitdem bewahrte er sie in einem geheimen Versteck in seinem Labor. Der Schmerz über ihren Verlust hätte ihn beinahe um den Verstand gebracht. Nie zuvor hatte er so geliebt. Alice war die letzte offiziell hingerichtete Hexe im britischen Empire. Doch sie war weitaus mehr gewesen. Sie war ein gebürtiger Vampir und die Gefährtin von Baron Luthias. Die beiden einzigen seiner Art, die Cayden je getroffen hatte.
    Obwohl er als unerfahrener Vampir ein ungebändigter Heißsporn war, hätte er seine Leidenschaft für Alice verbergen können. Doch das Schicksal fügte, dass sie seine Liebe erwiderte. Leichtsinnig verwarf sie ihre Sicherheitsmaßnahmen, was ihr letztlich zum Verhängnis wurde. Manchmal redete er sich ein, dass ihr Tod durch die Flammen besser war, als dem tobenden Zorn des gehörnten Luthias zu begegnen. Dessen Herz erstarrte zu Eis, er verlor sich im Schatten seiner Rache, die nun ausschließlich auf Cayden zielte. Im Angesicht des Todes hatte Baron Luthias geschworen, zurückzukehren, sobald Cayden sein Herz erneut verlor, um jeden zu vernichten, der ihm nahestand. Cayden sollte eine Qual ereilen, gegen die das Fegefeuer einem Spaziergang gleichkam.
    Unter Aufbietung seiner gesamten Kraft gelang es ihm, sich wieder in den Griff zu bekommen. Er durfte sich nicht im längst vergangenen Schmerz verlieren, musste den Schutzschild wieder aufbauen, hinter dessen Oberfläche seit Jahrhunderten seine Gefühle verborgen lagen. Er war ein anderer geworden. Alice Molland gehörte der Vergangenheit an. Baron Luthias hingegen nicht, denn Caydens Instinkte sagten ihm, dass Smiths Berichte keine bloßen Gerüchte waren. Er spürte Luthias, auch wenn er es sich bislang nicht eingestehen wollte. Es war nur eine Frage der Zeit, wann sein Mentor auf ihn aufmerksam wurde. Gefasst nahm er sich vor, diese unheilvolle Begegnung zu erwarten. Wann immer das sein sollte.
    Eine kräftige Böe zog über ihn hinweg, trug die düsteren Gedanken davon und schien das Tor zur Gegenwart zu öffnen. Mit lautlosen Schritten ging er über das unebene Kopfsteinpflaster der Dorfstraße. Fackeln brannten noch an den Häuserwänden, deren Fenster wie schwarze Augen auf ihn herabstarrten. Durch die Schornsteine stob der Rauch von erlöschenden Kaminfeuern. Aus wenigen Kammern drang ein heimeliger Schein in die Nacht. Nachdem er den Brunnen hinter sich gelassen hatte, sah er aus der Ferne das Haus von Sues Tante. Bestimmt schlief Sue längst, wie die meisten es seit Stunden taten. Unwillkürlich musste er sich ihren vom Schlaf gewärmten Körper vorstellen. Seit ihrer ersten Begegnung beobachtete er sie, wann immer er in Lochdon weilte. Der Gedanke an sie ließ in seiner Brust die Sonne aufgehen. Genau genommen war er ihr nie begegnet, sondern hatte sich in Lochdon als Fremder ausgegeben, damit er aus sicherer Entfernung nach Sean sehen konnte. Dieser war wie wild zwischen den anderen Jungen hin und her gehüpft, deren Hälse sich noch weiter nach dem Neuankömmling in der Kutsche reckten.
    Cayden hatte den Hut tief ins Gesicht gezogen, als er in den Schatten einer Gasse trat. Ihm lag nicht viel an fremden Besuchern, doch ein seltsamer Impuls bewegte ihn dazu, sich noch einmal umzudrehen.
    Sie stand plötzlich da. Mutterseelenallein, und wirkte unter den Blicken der Dorfbewohner so verloren wie ihr blütenweißes Kleid unter den graubraunen Gewändern der Umstehenden. Auf der Stelle war er von ihrem Anblick bezaubert. Ein Hauch von Spitze bedeckte ihre erblühenden weiblichen Formen bis zu den Fesseln hinab. Doch die fein geschwungenen Linien ihrer Schultern ließen mehr erahnen, als ihr Kleid verbarg. Goldblondes Flechtwerk bedeckte kunstvoll hochdrapiert ihre Ohren, ließ den weißen Hals zerbrechlich wirken. Geduldig hatte sie gewartet, bis der Kutscher ihr Gepäck abgeladen hatte. Die Lider gesenkt, sodass ihre langen Wimpern wie Fächer Schatten auf ihr Gesicht warfen. Einmal wagte sie einen suchenden Blick ihrer

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