Electrica Lord des Lichts
hier? Gleichzeitig erschauerte sie auf angenehme Weise.
Meine Güte, der Alkohol brachte sie durcheinander. Es war besser, wenn sie sich ein wenig beherrschte. Entschlossen stellte sie ihr Glas auf den Tisch.
„Ich sollte jetzt gehen.“ Ein plötzlicher Anflug von Pflichtgefühl katapultierte ihren Verstand in die Realität und ihren Körper in eine aufrechte Position zurück. Sie war so plötzlich aufgestanden, dass ein weiterer Schwindel durch ihren Kopf rauschte. Glücklicherweise geriet sie nicht ins Taumeln.
„Wohin?“ Der Lord vollzog eine Handbewegung vor ihrem Gesicht, als wollte er eine Fliege verscheuchen.
Sue stutzte. Ihr war kein Insekt aufgefallen. „Zurück nach Hause. Ich muss ins Dorf, mich um die Beerdigung kümmern.“ Sie knetete den Stoff ihres Kleides zu einem festen Ballen zusammen. Eigentlich konnte sie nicht ins Dorf zurückkehren. Niemand würde ihr glauben, dass der Schulmeister ihre Tante getötet hatte. Trotz seines Rufes war er ein ehrbarer Bürger. Sie stünde als hysterisches Weib da, das aus einem Unfall einen Mord machen wollte. Sicher würde der Schulmeister dafür sorgen, dass man sie vertrieb. Und wohin sollte sie dann gehen? Verzweiflung keimte wie aus dem Nichts auf.
„Bitte lasst mich gehen.“ Sie starrte auf den wohlgeformten Mund des Lords, wagte nicht, in seine Augen zu blicken. Auf einmal schämte sie sich wieder, so leicht bekleidet vor ihm zu stehen.
„Natürlich steht es Euch frei zu gehen. Doch meint Ihr nicht, es wäre in Anbetracht der Umstände besser, für eine Weile in meiner Obhut zu bleiben?“
Seine volltönende Stimme schien beruhigend auf sie zu wirken, denn ihre Aufregung legte sich. Es klang einleuchtend, seine Einladung anzunehmen. Zumindest für eine Weile. Aber im Dorf würde es sicher Gerede geben, wenn sie einfach so verschwand.
Siedend heiß kam ihr der Gedanke, dass es niemanden gab, der sie vermissen oder nach ihr suchen würde. Sie war immer eine Fremde geblieben, nur durch ihre Tante war man ihr mit Höflichkeit begegnet. Jetzt würde man annehmen, sie habe den Tod ihrer Tante als Vorwand genutzt, nach England zurückzukehren. Keiner ahnte, dass es nichts gab, was Sue an den Ort ihrer Kindheit zurückziehen könnte. Ihre Lage war aussichtslos. Sie war verloren. Verzweifelt wollte sie sich die Hände vor das Gesicht schlagen, doch der Lord hinderte sie, indem er sanft ihre Handgelenke griff.
Er hob ihr Kinn und ein Blick in seine Augen löste die schreckliche Anspannung. Mit einer weiteren Handbewegung schien er ihre Verzweiflung beiseitezuschieben. Leicht wie eine Feder flatterte sie davon. Wärme zog durch ihren Körper. Einen Augenblick glaubte sie, er wollte sie küssen. Zu ihrem Entsetzen gefiel ihr die Vorstellung. Sie atmete tief durch und versuchte, ihre Fassung wiederzugewinnen. Auf keinen Fall sollte sie mehr von dem schweren Wein trinken. Um sich abzulenken, ließ sie ihren Blick durch den weiträumigen Salon schweifen. Dabei entdeckte sie ein ihr unbekanntes, messingverziertes Möbelstück, das sie unbedingt aus der Nähe betrachten wollte.
„Oh! Was ist das?“
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
Kapitel 6
C
ayden blieb einen Moment stehen und beobachtete, wie Sue mit geröteten Wangen das fremdartige Gerät von allen Seiten betrachtete. Dabei hielt sie die meiste Zeit ihre Hände in sicherer Entfernung wie ein verzücktes Kind, das Seifenblasen bewunderte, sich aber nicht wagte, sie anzurühren, weil sie auf der Stelle zerplatzen würden. Hin und wieder fuhr sie mit den Fingerspitzen sachte über die einzelnen Buchstaben auf der Tastatur. Gedankenverloren rieb sie sich ihr Kinn.
„Ich nenne es Typomat.“ Er stellte sich dicht hinter sie, sog den Duft auf, der von den geringelten Haarsträhnen in ihrem Nacken ausging.
Sie beugte sich vor und begutachtete jeden einzelnen goldfarbenen Buchstaben auf seinem Perlmutthintergrund. Ihre Lippen formten stumm das fremde Wort, während sich ihre Brauen leicht anhoben.
„Die Buchstaben haben die gleiche Form, wie sie in Büchern stehen.“
Lächelnd wandte sie sich zu ihm um. Ihre Augen glänzten vor Begeisterung wie Bergseen.
„Ihr könnt lesen?“ Er gab sich erstaunt. Natürlich kannte er Frauen, die lasen, wenn auch nur kurzweilige Verse. Doch von einem Mädchen aus dem Dorf sollte er das offiziell nicht erwarten.
Ihre Locken wippten unter dem eifrigen Nicken. „Manchmal schreibe ich ...“
Reizend, wie beschämt sie
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