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Electrica Lord des Lichts

Electrica Lord des Lichts

Titel: Electrica Lord des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
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Holzreifen.
    „Bequemlichkeit ist nicht gefragt“, erwiderte Babu mit einem Schnaufen, während sie nach einem Korsett griff.
    „Nicht doch“, seufzte Sue beim Anblick des ultimativen Foltergeräts des weiblichen Schönheitsideals. „Mit anderen Worten, wer schön sein will, muss leiden.“ Sue ächzte unter der Tortur, in der Babu ihre ohnehin schmale Taille zu einer festen Packung schnürte. Sie brauchte eine Weile, um sich auf die eingeschränkte Atmung einzustellen, wurde aber von ihrem Anblick im Spiegel entschädigt. Ohne das Korsett hätte sie in der voluminösen Fülle an schillerndem Seidenstoff vermutlich ausgesehen wie dieser Heißluftballon der Gebrüder Montgolfier kurz vor dem Abheben. So erinnerten nur die Ärmel an den Ballon, dessen Bilder Sue in einem Buch gesehen hatte. Die geschnürte Taille lockerte auf widersprüchliche Weise das Gesamtbild auf, betonte den ausladenden Rock ebenso wie die aufwendig geraffte Brustpartie.
    Augenblicklich fühlte sich Sue großartig. Verspielt drehte sie sich vor dem Spiegel, lauschte dem sanften Knistern des schwingenden Stoffes, bewunderte die wechselnden Nuancen des schimmernden Perlmutts in den Falten. Ein weicher Kaschmirschal rundete das Bild ab.
    Wenig später betrat sie den hinteren Hof des Schlosses, wo Cayden sie bereits erwartete. Hohe Mauern schotteten das Gelände von der Außenwelt ab. Nur die Seite, an der die Klippen steil abfielen, erlaubte einen freien Blick auf das Meer. Das tobende Brausen des Atlantiks drang zu ihnen hinauf, schickte salzhaltige Luft in die Atmosphäre. Am Horizont zeugte ein glühend roter Streifen vom Versinken der Sonne im Meer. Doch Sue hatte keinen Blick für das spektakuläre Farbenspiel am Himmel, sondern war viel zu sehr damit beschäftigt, sich zu fragen, was Cayden vorhatte.
    Er bemerkte ihr Herannahen mit einem flüchtigen Blick, worauf augenblicklich ein weiterer folgte. Mit Genugtuung bemerkte Sue die unverhohlene Bewunderung in seinen Augen. Immerhin. Eine echte Gefühlsregung. Bedauerlicherweise brachte sie offenbar nur ihren eigenen Puls in Wallung. Ihren fragenden Blick zollte er mit einem verschwörerischen Lächeln und reichte ihr seinen Arm.
    Für gewöhnlich machte sich niemand in den Abendstunden auf, um eine Reise zu unternehmen. Anderseits entsprach Cayden auch nicht der allgemeinen Vorstellung eines herkömmlichen Mannes, sondern schien eher das fleischgewordene Synonym für jemanden zu sein, der stets eine Überraschung parat hat. Das unterschied ihn deutlich von allen ihr bekannten Menschen, deren Handeln in der Regel abschätzbar war.
    Cayden hatte beschlossen, mit ihr nach Fort William zu fahren, obwohl die Wahrscheinlichkeit gering war, noch rechtzeitig nach Oban übersetzen zu können. Es sei denn, er hatte den Captain der Fähre bestochen, damit er eine nächtliche Sonderfahrt einlegte. Innerlich zuckte Sue mit den Achseln und beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken, wie Cayden sein Vorhaben umzusetzen gedachte. Vermutlich würde sie das früh genug erfahren. Sie konnte nicht umhin, eine gewisse freudige Erwartung über die Aussicht auf einen Ausflug zu verspüren. Es war eine Weile her, seit sie Mull verlassen hatte. Genau genommen war sie seit ihrer Ankunft als Kind nicht mehr von der Insel weggekommen. Selbst die unterschiedlichen Märkte anlässlich der Clantreffen fanden alle paar Jahre in einem der umliegenden Dörfer statt, was mit der Kutsche gerade mal eine Tagesreise war.
    Sie schritt neben Cayden über knirschenden Kies auf ein großes Holztor zu. Mit beiden Händen stieß er gegen die schweren Torflügel. Sie schwangen auf, als bestünden sie aus Papier. Sue wollte eine erstaunte Bemerkung von sich geben, als sie sich plötzlich vor dem Monster mit den glühenden Augen wiederfand. Der Schreck fuhr ihr so unerwartet durch die Glieder, dass sie mit einem Aufschrei herumfuhr und gegen Caydens Brust stieß. Seine Arme umfingen sie schützend. Gott. Das konnte nicht wahr sein. Sie musste träumen. Während sie ihr Gesicht gegen Cayden presste, die Augen fest zusammengekniffen, bemerkte sie ein glucksendes Geräusch in seiner Brust. Er lachte.
    „Ich nenne es Automobil“, sagte er rätselhaft.
    Behutsam schob er sie von sich, damit sie ihren Blick zurück richtete. Sue starrte in den metallischen Glanz blitzender Facettenaugen und überlegte, ob das fremdartige Wort Caydens morbide Bezeichnung für Monster war. Natürlich wurde ihr bei genauerem Hinsehen bewusst, dass das

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