Electrica Lord des Lichts
an Land zu sein, rieb sich Sue die schweißnassen Hände. Ungläubig fuhr sie in ihrem Sitz herum und warf einen Blick auf die hinter ihnen liegende Wasserfläche. Die andere Uferseite konnte sie in der Dunkelheit nicht mehr erkennen. Doch sie war dort hinten und sie hatte soeben in einem Gefährt, das eigentlich allenfalls einer fantastischen Vorstellung entspringen durfte, den Fluss durchschwommen.
„Du kannst jetzt gerne das Fenster öffnen“, sagte Cayden und deutete auf ihre Türseite.
Sue machte sich daran, die kleine Kurbel zu betätigen. Tief sog sie die kühle Abendluft ein. Das panische Gefühl, gleich zu ersticken, löste sich in Erleichterung auf. Zurück blieb ein seltsames Empfinden, als wäre sie einen Moment eingenickt gewesen.
„Ich kann kaum glauben, was soeben passiert ist“, sagte sie mit belegter Stimme. „Wie kann das möglich sein? Deine Kutsche fährt nicht nur ohne Pferd, sie verwandelt sich sogar in ein Boot.“
„Genau genommen in ein Unterwasserboot. Eine nützliche Weiterentwicklung des Oructer Amphibolis, an dem ein Erfinder in der Neuen Welt arbeitet.“ Cayden startete den Motor.
Die Scheinwerfer beleuchteten die nächtliche Landschaft wie eine unheimliche Lichtquelle, die nicht von dieser Welt zu sein schien. In der Ferne gesellten sich einzelne Gaslaternen an der Hafenpromenade von Oban hinzu. Langsam legte sich die Aufregung über diese weitere unbegreifliche Erfahrung.
„Nützlich ist bescheiden ausgedrückt. Amphibien sind eine wahre Meisterleistung der Natur.“ Sue erinnerte sich an die Ausführungen ihres Vaters über Froschlurche und andere Arten, die sowohl an Land wie im Wasser lebten. Anscheinend war diese Art Fahrzeug dem nachempfunden.
„Nun, ich würde sagen, wir haben es hier mit einer wahren Meisterleistung der Wissenschaft zu tun. In der Natur finden wir zweifellos zahlreiche Vorlagen und was wir daraus machen, liegt im Ermessen der forschenden Intelligenz.“
Sue war nicht sicher, welchen Nutzen diese technischen Neuerungen, von denen sie in der letzten Zeit erfahren hatte, tatsächlich für die Menschheit haben sollten. Unwillkürlich stellte sie sich die Frage, was sie in ihrem vergangenen Leben im Dorf entbehrt hatte. Spontan fiel ihr darauf keine Antwort ein.
Die nächtliche Landschaft zog erneut in einem Tempo an Sues Fenster vorbei, wie sie es sich bisher allenfalls aus der Perspektive eines Vogels hätte vorstellen können. Sie folgten dem Lauf des Loch Linnhe zu ihrer Linken in nördlicher Richtung.
„Was ist der tatsächliche Anlass dieser Fahrt?“ Bisher war sie zu abgelenkt gewesen, Cayden nach dem Grund ihres überstürzten Aufbruchs zu fragen.
„Die Berater des Königs halten die Festung Inverlochy für einen geeigneten Rahmen, einen Kongress abzuhalten“, antwortete Cayden so beiläufig, als befänden sie sich auf den Weg zu einem Picknick ins Grüne.
Maßlos erstaunt blickte sie ihn an. Sie hatte nicht damit gerechnet, überhaupt eine Antwort zu bekommen, die nicht nur aus zusammenhanglosen Andeutungen bestand. „Der König kommt hierher?“ Sie konnte sich kaum vorstellen, was einen mächtigen König wie George III. nach Schottland führen sollte.
Cayden nickte und lenkte den Wagen in eine weitläufige Kurve. „Anlässlich der baldigen Fertigstellung des Kaledonischen Kanals. Ich wage anzuzweifeln, dass dieses Ereignis in absehbarer Zukunft eintreten wird.“ Er stieß ein abfälliges Schnaufen aus. „Immerhin buddeln die Arbeitertruppen bereits seit 1803 in den drei Beckenseen herum in der Absicht, sie miteinander zu verbinden.“
Das war ungefähr ein Jahr, bevor Sue nach dem Tod ihres Vaters nach Lochdon kam. Sie erinnerte sich an die Gespräche der Menschen auf den Straßen über das spektakuläre Vorhaben, Loch Ness mit Loch Oich und Loch Lochy durch einen Kanal zu verbinden. Sie verstand damals nicht viel von den Hintergründen, woran sich bis heute nicht viel geändert hatte.
„Wozu soll das gut sein?“
„Ein paar Heringsfischern den Umweg durch den Pentland Firth zu ersparen, denn zu mehr wird der Kanal nicht nutzen. Möglicherweise passen ein paar Handelsschiffe hindurch, doch wirtschaftlich betrachtet wird es nicht mehr als ein gigantischer Misserfolg werden.“
Sue nickte. Insgeheim bewunderte sie Cayden für sein Wissen und seine Voraussicht. Seine kritische Sichtweise über die immer noch andauernden Arbeiten am Bau des Kanals erschien gerechtfertigt. Wenngleich sie sich auch wunderte, dass außer ihm
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