Elefanten vergessen nicht
vertraut.
»Kommen Sie herein, meine Liebe«, sagte die alte Frau, »kommen Sie erst mal herein. Sie sehen gut aus, sehr gut. Wie viel Jahre haben wir uns nicht gesehen? Fünfzehn mindestens.«
Es waren zwar wesentlich mehr als fünfzehn, aber Mrs Oliver beließ es dabei. Sie trat ein. Mrs Matcham schüttelte ihr zittrig die Hand. Mühsam schloss sie die Tür und führte Mrs Oliver schlurfend und humpelnd in ein kleines Zimmer, das offensichtlich für den Empfang von Besuch bestimmt war, falls Mrs Matcham ihn hereinließ. Eine Unmenge Fotografien von Babys und Erwachsenen standen und hingen herum. Manche Bilder in hübschen Lederrahmen, die sich allmählich verzogen hatten, aber noch nicht ganz in Stücke gegangen waren. Eine Fotografie in einem angelaufenen Silberrahmen zeigte eine junge Frau im Ballkleid und mit Federn auf dem Kopf. Ein Sofa und zwei Stühle standen da, Mrs Oliver setzte sich auf einen Stuhl. Mrs Matcham nahm auf dem Sofa Platz und stopfte sich unbeholfen ein Kissen in den Rücken.
»Meine Liebe, ich kann es gar nicht glauben, dass ich Sie hier vor mir sehe. Schreiben Sie immer noch Ihre hübschen Geschichten?«
»Ja«, bestätigte Mrs Oliver, obwohl sie leise Zweifel hegte, dass man Kriminalromane und Geschichten über Verbrechen und verbrecherisches Verhalten als »hübsche Geschichten«, bezeichnen konnte. Aber das, dachte sie, war schon immer Mrs Matchams Angewohnheit gewesen.
»Ich bin jetzt ganz allein«, fuhr Mrs Matcham fort. »Erinnern Sie sich an meine Schwester Gracie? Sie starb letzten Herbst, ja. An Krebs. Sie haben sie noch operiert, aber es war schon zu spät.«
»Ach, meine Liebe, das tut mir aber leid.«
Während der nächsten zehn Minuten drehte sich das Gespräch um das Dahinscheiden von Mrs Matchams letzten Verwandten, die einer nach dem anderen gestorben waren.
»Und Ihnen geht es gut? Sie sind gesund? Sie haben doch einen Mann? Ach, jetzt erinnere ich mich, er ist vor Jahren gestorben, nicht wahr? Und was führt Sie nun zu mir, nach Little Saltem Minor?«
»Ich war zufällig in der Gegend«, erklärte Mrs Oliver, »und als ich Ihre Anschrift in meinem kleinen Adressbuch fand, dachte ich, ich könnte mal reinschauen und fragen, wie es Ihnen geht.«
»Ah! Und ein bisschen von alten Zeiten plaudern? Es ist immer nett, wenn man sich darüber unterhalten kann, nicht wahr?«
»Ganz richtig«, sagte Mrs Oliver erleichtert, dass das Stichwort gefallen war. »Was für viele Fotos Sie haben!«
»Und ob ich die habe! Wissen Sie, als ich im Heim war – es hatte einen verrückten Namen, Haus So n nenuntergang, Glück für die Alten oder so ähnlich –, also über ein Jahr habe ich dort gelebt, bis ich es nicht mehr aushielt! Eine ekelhafte Gesellschaft war das. Man konnte nicht mal seine eigenen Sachen mitbringen. Alles musste dem Heim gehören. Ich behaupte ja nicht, dass es nicht gemütlich war, aber wissen Sie, ich mag mein eigenes Zeug um mich haben. Meine Fotos und meine Möbel. Eines Tages kam eine reizende Dame vom Vorstand, jawohl, und sagte, es gäbe Heime, in die man alles mitnehmen könnte.
Dazu eine furchtbar nette Helferin, die schaut jeden Tag nach, ob alles in Ordnung ist. Ja, hier fühle ich mich nun wirklich wohl. Ich habe alle meine Sachen hier.«
»Sie kommen aus der ganzen Welt«, sagte Mrs Oliver und sah sich um.
»Ja, der Tisch dort – der aus Messing – ist von Captain Wilson, er schickte ihn mir aus Singapur. Hübsch, nicht? Hier, dies auf dem Aschenbecher ist etwas Merkwürdiges. Ägyptisch, ja. Ein Skarabius oder wie man es nennt. Klingt wie eine Art Juckreiz, was? Ist es aber nicht. Nein, es ist eine Art Käfer aus Stein. Angeblich. Ein Lapsus – ein Lupis Lazuli oder so ähnlich.«
»Lapis Lazuli«, korrigierte Mrs Oliver.
»Stimmt. Sehr hübsch, nicht? Das war mein archäologischer Junge, der machte Ausgrabungen. Er hat ihn mir geschickt.«
»Ihre ganze schöne Vergangenheit«, sagte Mrs Oliver.
»Ach ja. Alle meine Jungen und Mädchen. Manche kriegte ich als Babys, einige hatte ich vom ersten Monat an, und dann die älteren. Manche Fotos stammen aus Indien und aus der Zeit, als ich in Siam war. Ja ja. Dies da ist Miss Mola in ihrer ersten Ballrobe. Sie war ein hübsches Ding. Zweimal geschieden. Ja. Zuerst Schwierigkeiten mit Seiner Lordschaft, dem ersten Mann, dann heiratete sie einen Popsänger, und das hat natürlich nicht gut gehen können. Dann nahm sie einen Amerikaner aus Kalifornien. Sie besaßen eine Yacht und reisten viel
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