Elefanten vergessen nicht
Dank«, antwortete Mrs Oliver. »Ich will Sie nicht länger als unbedingt nötig aufhalten. Ich möchte Sie nur etwas fragen, an das Sie sich vielleicht zufällig noch erinnern. Sie haben doch lange Jahre in Ihrem Beruf als Friseuse gearbeitet?«
»Ja. Jetzt bin ich froh, dass ich das Geschäft den Mädchen überlassen kann. Ich selbst tue nichts mehr.«
»Aber Sie beraten noch?«
»Ja, das schon.« Mrs Rosentelle lächelte. Sie hatte ein nettes, intelligentes Gesicht und gut frisiertes braunes Haar mit ein paar interessanten grauen Strähnen darin. »Ich begreife nicht ganz, worum es geht.«
»Ich wollte Ihnen ein paar Fragen stellen, über Perücken. Sie hatten doch ein Geschäft in London, nicht wahr?«
»Ja. Zuerst in der Bond Street, dann zogen wir um in die Sloane Street, aber nun ist es herrlich, auf dem Land zu leben, wissen Sie. Mein Mann und ich sind sehr glücklich hier. Mit Perücken haben wir nicht mehr so viel zu tun. Mein Mann berät noch und entwirft Herrenperücken und Toupets. Bei vielen Leuten spielt es im Beruf nämlich eine große Rolle, dass sie nicht zu alt aussehen.«
»Das kann ich mir denken«, bestätigte Mrs Oliver.
Aus reiner Nervosität machte sie weiter Konversation und überlegte dabei angestrengt, wie sie zum Thema kommen könnte. Sie erschrak, als Mrs Rosentelle sich plötzlich vorbeugte und sagte: »Sie sind doch Ariadne Oliver, die Romanschriftstellerin?«
»Ja«, gab Mrs Oliver zu, »das stimmt…« Auf ihrem Gesicht erschien ein beschämter Ausdruck, wie immer in solchen Situationen. »Ja, ich schreibe Romane.«
»Ich liebe Ihre Bücher. Ich habe viele gelesen. Das ist aber wirklich reizend. Sagen Sie mir doch, wie ich Ihnen helfen kann!«
»Es geht um Perücken. Die Geschichte liegt viele Jahre zurück. Wahrscheinlich können Sie sich gar nicht mehr daran erinnern.«
»Nun, wir werden sehen…«
»Es handelt sich um eine Freundin von mir, wir waren zusammen in der Schule. Später heiratete sie und ging nach Indien. Sie kam auf tragische Weise ums Leben, und einer der Punkte, die man dabei seltsam fand, waren die vielen Perücken. Sie stammten alle von Ihnen, von Ihrer Firma, meine ich.«
»Wie hieß Ihre Freundin denn?«
»Ihr Mädchenname war Preston-Grey, später hieß sie Ravenscroft.«
»Ah ja, ich erinnere mich an Lady Ravenscroft. Sehr genau sogar! Sie war so reizend und sah sehr, sehr gut aus. Ihr Gatte war Oberst oder General, er war pensioniert, und sie wohnten in…«
»Sie begingen angeblich Selbstmord«, sagte Mrs Oliver.
»Ja, ja! Ich las darüber. Damals sagte ich zu meinem Mann: ›Aber das ist doch Lady Ravenscroft!‹ Dann erschien ein Bild des Ehepaares in der Zeitung, ich hatte mich also nicht getäuscht. Ihn habe ich nicht gekannt, aber sie war es. Eine traurige Geschichte. Sie soll Krebs gehabt haben, deshalb ist es passiert. Aber Einzelheiten erfuhr ich nie… Wieso glauben Sie, ich könnte Ihnen helfen?«
»Sie lieferten die Perücken, und soviel ich weiß, fand die Polizei es auffällig, dass sie vier Perücken besaß. Aber vielleicht ist es das gar nicht?«
»Heute hat man oft mindestens zwei«, erklärte Mrs Rosentelle. »Wissen Sie, die eine ist meistens beim Aufkämmen, und die andere trägt man.«
»Erinnern Sie sich, dass Lady Ravenscroft zusätzlich noch zwei Perücken bestellte?«
»Sie kam nicht selbst. Ich glaube, sie war krank oder im Krankenhaus. Die junge Französin kam, ihre Gesellschafterin oder so was. Sehr nett. Sprach perfekt Englisch. Sie sagte genau, wie sie sie haben wollte, Größe und Farbe und Frisur. Nicht zu glauben, dass ich mich noch daran erinnere! Aber etwa einen Monat oder sechs Wochen später las ich von dem Selbstmord… Sie erfuhr wohl, wie es um sie stand, sie konnte einfach nicht damit fertigwerden, und ihr Gatte konnte nicht ohne sie leben…«
Mrs Oliver nickte nachdenklich.
»Es waren doch verschiedene Perücken?«, fragte sie.
»Ja, eine mit einer sehr hübschen grauen Strähne, eine war für alle Tage und eine für den Abend. Eine bestand nur aus kurzen Löckchen. Die war besonders hübsch, man konnte sie sogar mit Hut tragen, ohne dass sie in Unordnung geriet. Es tat mir sehr leid um Lady Ravenscroft. Abgesehen von ihrer Krankheit war sie auch sehr unglücklich über ihre Schwester, die kurz zuvor gestorben war. Eine Zwillingsschwester.«
»Ja, Zwillinge lieben sich meist zärtlich.«
»Sonst schien sie immer eine so glückliche Frau gewesen zu sein«, sagte Mrs Rosentelle und
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