Elegie - Fluch der Götter
auch nur so, weil er wegen der Mühen, die er auf sich genommen hatte, stark abgemagert war. Der Raum schien nun, da er hier war, kleiner zu sein. Das gedämpfte Lampenlicht erschuf einen schwachen Widerschein auf der glänzenden Oberfläche seiner schwarzen Prunkrüstung. Er verneigte sich höflich. »Hohe Frau Cerelinde.«
»Heerführer Tanaros.« Sie neigte den Kopf und deutete auf den leeren Sessel ihr gegenüber. »Möchtet Ihr Euch setzen?«
»Vielen Dank.« Eingeschlossen in das unnachgiebige Metall, nahm Tanaros Platz und saß steif und aufrecht da, während seine Hände auf den Knien ruhten. Schweigend betrachtete er sie eine kleine Weile, als ob er vergessen hätte, weswegen er hergekommen war. »Ich hoffe, es geht Euch gut?«
»So gut, wie es mir gehen kann.« Cerelinde lächelte schwach. »Meara hat mir Nähzeug beschafft, damit ich mir mit ein wenig Handarbeit die Langeweile vertreiben kann. Der Fürst hat es Vorax nicht erlaubt, mich zu töten.«
»Vorax?« Die Riemen an Tanaros’ Rüstung knirschten, als er sich bewegte. »Das würde er nie tun.«
»Doch, gern sogar.«
»Nein, niemals.«
Wieder entstand Schweigen zwischen ihnen. Cerelinde beobachtete ihn. Er wirkte müde; sein Gesicht trug die Spuren von Sonne und Wind. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, und die Stirn unter einer widerspenstigen Locke zeigte Falten, die beim letzten Mal nicht da gewesen waren. Mitleid regte sich in ihrem Herzen; es war eine Empfindung, die sie zu unterdrücken versuchte. Er war Tanaros Königsmörder, einer der Drei, Heerführer der Streitmacht von Finsterflucht.
Aber er war hier, saß in ihrer gut ausgestatteten Gefängniszelle
und war die einzige geistig gesunde Person an diesem Ort, die sie nicht tot sehen wollte.
»In Haomanes Namen«, sagte sie leise, »oder im Namen derjenigen Gottheit, die Ihr verehrt, würdet Ihr mir bitte sagen, was los ist?«
»Krieg.« Tanaros hielt ihrem Blick stand, ohne zu blinzeln. »Noch nicht, aber bald. Schon jetzt versammeln sie sich in Meronil, um eine Strategie auszuarbeiten. Sie kommen wegen Euch, Hohe Frau.«
Cerelinde nickte knapp. »Haben sie Aussicht auf den Sieg?«
Er zuckte die Achseln, wobei seine Rüstung knirschte. »Ob sie Finsterflucht einnehmen können? Nein, Herrin, das glaube ich nicht. Aber außer Blutvergießen ist im Krieg nichts sicher.«
»Das könnte verhindert werden.«
»Indem wir Euch gehen lassen?« Tanaros stieß ein kurzes Lachen aus. »Damit Ihr Aracus Altorus heiraten könnt?«
Darauf gab sie keine Antwort.
»Ach, Herrin.« Seine Stimme wurde rauer. »Selbst wenn Eure Antwort Nein lauten würde … wie lange würdet Ihr sie aufrechterhalten? Eine sterbliche Generation lang? Oder zehn? Was glaubt Ihr, wie lange wird es dauern, bis ein anderer Nachfahre von Altorus geboren wird, der Euer Herz zum Rasen bringt …«
»Genug!«
»… und Euch das Blut in die Wangen treibt?«
»Genug, Fürst«, wiederholte Cerelinde und errötete. »Es besteht keine Notwendigkeit, so vulgär zu sein.«
Tanaros hob die Brauen. »Vulgär?«
Sie öffnete den Mund und schloss ihn gleich wieder.
Tanaros seufzte und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Am Ende ist es unbedeutend. Haomanes Verbündete werden niemals bereit sein, von der Prophezeiung Abstand zu nehmen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass der Fürst in diesem Punkt nicht mit sich handeln lässt.«
»Er könnte einlenken«, sagte Cerelinde mit leiser, unbeteiligter Stimme. »Das habe ich schon einmal gesagt, und es stimmt immer noch. Er könnte einlenken und sich Haomanes Willen beugen. Diese Möglichkeit besteht. Sie besteht immer .«
»Nein.« Tanaros schüttelte den Kopf. »Nein, Hohe Frau, das glaube ich nicht. Diese Möglichkeit hat es nie gegeben.«
»Warum nicht?«, fragte sie ruhig.
Erneut zuckte er die Achseln. »Fragt ihn , wenn Ihr es wirklich wissen wollt. Vielleicht liegt die Antwort in dem, was hätte sein können.«
»Ihr habt davon gehört?« Cerelinde errötete ein zweites Mal. »Ich wollte mit Euch über diesen Vorfall reden. Es ist eine kleine Gabe – schwache Magie. Vorax war erzürnt, aber ich wollte niemanden verwirren, sondern nur trösten. Es macht alles leichter, wenn man die Wege sieht, die man hätte beschreiten können.« Sie betrachtete Tanaros und fügte sanft hinzu: »Ich könnte es auch Euch zeigen, wenn Ihr es wünscht.«
»Nein!« Das Wort explodierte auf seinen Lippen. Er sog langsam die Luft ein und stützte die Hände auf die Knie.
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