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Elegie - Herr der Dunkelheit

Elegie - Herr der Dunkelheit

Titel: Elegie - Herr der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Carey
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Lande regte sich unbehaglich, rückte sein Schwertgehänge zurecht und verzog den Mund zu einem harten, dünnen Strich. Er besaß genug Anstand, ihr nicht ins Gesicht zu sehen. »Ich habe Gefolgschaft geschworen.«
    »Und was ist mit Euch, Fürst Valmaré?« Verzweifelt zwang sich Lilias, mit freundlichster Stimme an die Vernunft zu appellieren, als sie Lorenlasse von Valmaré ansprach. »Haben sich die Dinge in Urulat so geändert? Überlassen die Kinder Haomanes die Früchte des Sieges nun den Kindern Arahilas? Dies ist kein Schatz, den sterbliche Hände besudeln sollten. Bin ich dafür nicht der lebende Beweis?«

    Der Fürst der Riverlorn runzelte die Stirn.
    »Lorenlasse.« Der Ellyl in der abgetragenen Reisekleidung sprach in der Gemeinsamen Sprache, und sanftes Bedauern lag in seiner Stimme. »Ingolin der Weise wagte es nicht, eine solche Bürde zu nehmen. Wollt Ihr Euch der Weisheit verschließen, die Malthus der Gesandte ihm eingab? Lasst den Sohn des Altorus das Juwel nehmen. Er ist verlobt mit der Hohen Frau Cerelinde, der Enkeltochter Elterrions des Kühnen. Unsere Zeit nähert sich dem Ende, und es ist sein Sieg. Es ist sein Recht.«
    Lorenlasse von Valmaré trat zurück und nickte, und sein Gesicht war von Trauer und ernster Anerkennung erfüllt. »So sei es«, sagte er. »Als Haomanes Kind erfülle ich seine Prophezeiung. Sohn des Altorus, der Soumanië gehört Euch.«
    »Zauberin«, sagte Aracus Altorus schlicht und streckte die Hand aus.
    Er drohte ihr nicht. Mit einem siegreichen Heer im Rücken hatte er das nicht nötig.
    »Dann nehmt ihn!« Mit zitternden Händen hob Lilias den Reif von ihrer Stirn. Der Soumanië saß als matter roter Stein in seiner Mitte. Seit tausend Jahren hatte er stets ihr vom Alter ungestraftes Fleisch berührt. Auch jetzt, da sie über alles Maß erschöpft war und seine Macht außerhalb ihrer Reichweite lag, erhielt sie der Soumanië und sorgte für jene Verbindung, mit der sie die Fessel ihres Daseins bis an ihre äußerste Grenze gedehnt hatte. So war es seit tausend Jahren gewesen, seit der Drache von Beschtanag das Geheimnis des Steines an ein störrisches pelmaranisches Mädchen weitergegeben hatte. Tränen brannten in ihren Augen, als sie den Reif auf Aracus Altorus’ ausgestreckte Hand legte und ihn aufgab. »Die Schöpfer mögen Zeuge sein, dass ich dies gegen meinen Willen tue.«
    Er schloss seine Hand um den Soumanië und nahm ihn an sich.
    Es war geschehen. Die Verbindung war abgebrochen, und Lilias spürte einen Schock wie plötzliches Eintauchen in Eiswasser, als sie der Sterblichkeit entgegendriftete. Die Fesseln ihres Fleisches schlossen sich um sie, unerwartet und erstickend. Ihre Gedanken, die bis zu den Grenzen Beschtanags gegriffen hatten, waren wieder begrenzt
durch Fleisch und Knochen. Die dichten Wälder, die zerklüfteten Bergspitzen – verloren, alles verloren. Nie wieder würde sie sich in die Welt hineinbegeben, die jenseits ihrer Fingerspitzen lag, nicht einmal in die Leere, die durch Calandors Abwesenheit entstanden war. Alles, alles war verschwunden, und der Sand der Zeit, den der Soumanië aufgehalten hatte, begann wieder durch das Stundenglas ihres Schicksals zu rinnen. Schon jetzt fühlte sie den langsamen Verfall des Alterns herankriechen. Fleisch bekam Runzeln, Knochen wurden brüchig.
    Die Zauberin des Ostens existierte nicht mehr.
    Auf ihrem Platz saß eine Sterbliche, die Tochter eines pelmaranischen Herzogs, eine eitle und närrische Frau, die weit über das Maß ihrer Jahre gelebt und sich und ihr Volk in den Ruin getrieben hatte. Im Angesicht der Eroberer, die sie voller Verachtung ansahen, senkte Lilias den Kopf; sie war nun nicht mehr in der Lage, sich ihren Blicken zu stellen. »Calandor«, flüsterte sie dem leeren Raum in ihrem Innern zu. »Oh Calandor, ich vermisse dich!«
    Irgendwo weit entfernt erklang Oronins Horn.
     
    Sturmwolken zogen sich über dem Tal von Gorgantum zusammen.
    Vorax saß in seinem tief ausgeschnittenen Sattel auf einem der Finsterflucht-Pferde und beobachtete, wie der trübe Himmel die schwache rote Scheibe der Sonne zu verdecken begann. Das Halblicht, das stets über dem Tal lag, verfinsterte sich. Unter seiner reich geschmückten Rüstung brannte und juckte die Narbe, die in seine massige Brust eingebrannt war. Über der Ebene, den Wäldern und den allmählich ansteigenden Hügeln, von der Verderbten Schlucht bis zu den äußersten Grenzen der Mauern zogen sich dichte, schwere Wolken zusammen. Auf

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