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Elegie - Herr der Dunkelheit

Elegie - Herr der Dunkelheit

Titel: Elegie - Herr der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Carey
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besser versuchen, diese grässlichen Dinger zu meiden. Nach tausend Jahren kann ich Euch nur sagen, manche Dinge vergisst man besser.«
    »Fürst Vorax.« Cerelinde legte ihm die Hand auf den Arm. »Was seht ihr?«
    Er wandte ihr sein breites Gesicht zu, das vom Schein der Laterne erhellt wurde. Es war ein menschliches Gesicht, das eines gewöhnlichen Stakkianers, einfach und wenig schön. Aber dennoch war es kein sterbliches Gesicht; die Augen, die sie nun ansahen, hatten tausend Jahre vergehen sehen, und sie hatten, ohne zu blinzeln, in all die lange Qual geblickt, die der Schattenhelm in sich barg.
    »Euch«, sagte er. »Ich sehe Euch.«
     
    Uschahin drehte seinen gegabelten Stock und wendete den ausgenommenen Kadaver der Kriechechse.
    Es war ein ungewöhnliches Frühstück, umso mehr, da es ihm dank des Entgegenkommens der Drachin gewährt wurde. Die Echse briet bestens am äußersten Rand der Flamme, die sie für ihn ausstieß und die sie sorgsam kontrollierte. Die verkohlte Haut platzte nun auf und schmackhaftes weißes Fleisch trat an den Rändern hervor. Uschahin zog den Braten zu sich heran und untersuchte ihn; bei dem Versuch, ein Stück Fleisch abzulösen, verbrannte er sich die Finger. »Sehr lecker«, sagte er und streckte den Stock wieder aus. »Und jetzt auch durch, würde ich sagen. Wollt Ihr an dem Mahl nicht teilhaben, Mutter?«
    Der zweiflammige Feuerstrahl verschwand, als Calanthrag die Älteste die Nüstern wieder schloss und mit bedächtiger Erheiterung zwinkerte. »Ich danke dir, kleiner Sohn. Wie ich schon sagte, habe ich bereitsss gegessssen.«
    »Jemanden, den ich kenne?« Er nahm sich ein weiteres Stück gebratene Echse.
    »Vielleicht.« Die Drachin bewegte eine ihrer unsichtbaren Klauen im Wasser.
    Uschahin, der gerade das Fleisch zum Munde führen wollte, hielt in der Bewegung inne. »Vorax’ Stakkianer?«

    »Vielleicht.«
    Er kaute und schluckte das Stück hinunter, und er war sich der Tatsache durchaus bewusst, dass er diesen Genuss ihrer Großzügigkeit verdankte. »Und mich habt Ihr verschont.«
    »Bedauerssst du dasss?«
    »Nein.« Er dachte darüber nach und schüttelte den Kopf. »Sicher, ich bedaure, dass sie tot sind. Andererseits … hättet Ihr sie nicht verspeist, dann würde ich vermutlich nicht hier sitzen. Und Ihr hättet mir all diese Geheimnisse nicht verraten, die einem den Verstand rauben.«
    Die Nickhaut zog sich über dem Auge zusammen. »Und dennoch.«
    Die Morgensonne schickte ihre Strahlen durch das Laub der Mangroven und Palodusbäume, und ihre Wärme vertrieb die Dünste, die während der kalten Nachtstunden aus dem Sumpfwasser aufgestiegen waren. Insekten zirpten und summten. Über ihren Köpfen jagten Vögel über den Himmel und holten sich in den reichen Mückenschwärmen ihre Morgenmahlzeit. Hier und dort unterbrach das raue Krock eines Raben ihre Rufe. Erfüllt von tiefer Zufriedenheit saß Uschahin Traumspinner in seinem Kahn und aß gebratene Kriechechse, bis sein Bauch ebenso voll war wie seine Gedanken.
    Als er fertig war, legte er den Grillstock sorgfältig in den Kahn neben seinen Staken und den improvisierten Speer, mit dem er die Echse getötet hatte. Die unruhigen Raben hatten sich in den Bäumen niedergelassen, wartend und beobachtend. Die Drachin beobachtete ebenfalls, und endlose Geduld lag in ihren nichtmenschlichen Augen. Uschahin berührte seine Brust, fühlte die Wülste der Narbe durch den Stoff seines Hemdes, erinnerte sich an den Schmerz und die Ekstase seiner Brandmarkung. Er dachte an Fürst Satoris, der nur noch einen der Drei an seiner Seite hatte, und das Drängen wurde stärker.
    Er hob den Kopf, sah, wie sich die Raben aufplusterten und hin und her rückten, fing den Sinn ihrer gefiederten Gedanken auf. Eine gewundene Mauer, die ein Tal umschloss, dunkle Türme unter einem bedeckten Himmel, gelbe Buchenblätter und unordentliche Nester.

    Zuhause, Zuhause, Zuhause!
    Calanthrags Stimme zischte leiste. »Kämpfsssst du gegen deine Bestimmung, Niemandesss Sohn?«
    »Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Was Ihr mir erzählt habt, werde ich immer im Herzen tragen, Mutter, und viele Jahre darüber nachdenken. Aber es ist Fürst Satoris, der meinem Dasein einen Sinn gab. Ich bin sein Diener. Anders kann es nicht sein.«
    »Er ist der Säende. So mussss esss sein. So issst esss.«
    Ein Hauch Schwefel und Trauer lag im Ausruf der Drachin. Uschahin wandte sich ab, kniete sich in den Kahn und machte sich an dem Knoten des Seils zu schaffen,

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