Elegie - Herr der Dunkelheit
Weltenspalter hineingezogen zu haben.
Es war nicht ihre Schuld, nicht ganz. Das Leben der Menschen war kurz, es flackerte wie eine Kerze und verlosch nach einer Handvoll Jahre. Wie konnten sie auch das Ausmaß der ehrgeizigen Pläne des Weltenspalters erfassen, wenn Satoris Fluchbringer viele Zeitalter geduldig wartete, bis seine Ränke Früchte trugen? Das war der zweite Grund, aus welchem Cerelinde sich geweigert hatte, die Argumente von Malthus und Fürst Ingolin anzuhören. Zwar war sie nach ellylischer Rechnung jung, aber dennoch erinnerte sie sich an Zeitalter, die für die Söhne und Töchter der Menschen nur aus staubigen, auf Pergament festgehaltenen Geschichten bestanden.
Wie würde es sein, einen Mann zu heiraten, dessen Leben in einem Wimpernschlag vorbei war? Einer, in dessen Fleisch bereits die Saat des Todes spross? Ein Jahrhundert nach dem anderen hatte Cerelinde stets nur mit tiefstem Entsetzen darüber nachgedacht.
Und dann war Aracus gekommen.
Oh, es war wirklich aberwitzig.
Welche Lüge würde der Weltenspalter daraus spinnen, fragte sie sich. Die Wahrheit war ganz schlicht und einfach: Er hatte ihr Herz erobert. Aracus Altorus, ein König ohne Königreich, war, von nur wenigen Grenzwächtern begleitet, nach Meronil geritten. Als er wieder abreiste, hatte sie bereits eingewilligt, ihn zu heiraten.
Inzwischen war sie sich der Ränke bewusst, die hinter dieser Begegnung gesteckt hatten, und der langen Planung, mit der es
vorbereitet worden war. Sie wusste nicht, anhand welcher Zeichen und mit welchem geheimen Wissen der Weise Gesandte den Willen Haomanes deutete, aber er hatte offenbar erkannt, dass der Tag der Abrechnung nahte und dass Aracus Altorus, der letztgeborene Nachkomme einer Linie, die über fünftausend Jahre Bestand gehabt hatte, nun derjenige war, der die Prophezeiung erfüllen musste. Malthus hatte daraufhin, als Aracus noch ein Kind war, mit den Vorbereitungen begonnen und den Jungen in der Gestalt eines alten Onkels häufig besucht, um Vorahnungen in seine Ohren zu träufeln.
Beinahe dreißig Jahre lang hatte er geschickt auf ihn eingewirkt, während er gleichzeitig ein wachsames Auge auf Finsterflucht hielt, und er hatte in dem Jungen kluge Gedanken und auch Ehrgeiz geweckt, die reiften, als er zum Mann wurde. Und er hatte gute Arbeit geleistet, dachte Cerelinde bitter. Der Weise Gesandte hatte alles darangesetzt, einen Helden heranwachsen zu lassen.
Das war ihm gelungen.
Trotz aller Würdenträger, die sich in der großen Halle von Meronil versammelt hatten, sie hätten beide ebenso gut allein sein können. Es war etwas zwischen ihnen entstanden, ein unausgesprochenes Einverständnis, das vom Rat der Weisen nicht beschlossen worden war. Er streckte die Hand aus, um sein Schicksal zu ergreifen, wie ein Mann, der ein glühendes Brandeisen packt. Er liebte sie mit all der wilden Leidenschaft seines sterblichen Herzens. Und sie, sie erwiderte seine Liebe in stürmischer Glut. Es war Leid darin, ja, und auch Trauer, aber kein Entsetzen. Die Liebe, die Gabe der schönen Arahila, änderte alles.
Und während diese Liebe anhielt, konnten sie dem Schicksal, das sie überschattete, die Stirn bieten. Der Tod konnte schnell folgen, durch Krankheit oder Alter oder durch das Schwert. Oronin der Letztgeborene, der Frohe Jäger, würde sein Horn blasen und den Helden heimrufen. Und Cerelinde würde zurückbleiben und ihre Trauer ertragen müssen. Selbst im Falle eines Sieges, wenn der Weltenspalter endlich überwunden und Urulat geheilt sein würde, ihre Trauer würde bleiben. Aber ihre Kinder – oh Haomane! Ihre Kinder würden halb menschlich sein dank ihres Vaters Blut, aber auch halb
ellylisch, und damit eine Lebensspanne haben, die jene der Menschen weit übertraf. Und sie würden das Vergehen der Zeit erleben, wie es niemandem unter den Geringeren Schöpfern je zuvor möglich gewesen war. Ihre Kinder würden die Flamme der Hoffnung und Leidenschaft am Leben erhalten und ihre Geschlechter in einer nun wieder heilen Welt vereinen.
Das Bild des Halbbluts drängte sich ungebeten in ihre Gedanken, und Tanaros’ kühle Bemerkung hallte in ihrem Kopf wider: So wie er ist, so wären Eure Kinder geworden…
Eine Lüge, wieder eine Lüge. Sicherlich würden Kinder, die in Liebe empfangen wurden, anders, und sie würden von beiden Geschlechtern akzeptiert. War das nicht das Ziel von Haomanes Prophezeiung? Cerelinde saß auf dem übergroßen Bett, das man für sie bereitet hatte, und
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