Elementarteilchen kuessen besser
Arbeitszimmer vergraben. Und wenn sie sich dann bei ihm wegen etwas beschweren oder Dampf ablassen wollte, schaute er Linda nur mit einem warmen Lächeln an, tätschelte ihre Wange und meinte, so schlimm könne es doch gar nicht sein.
„Worüber ich mich aber geärgert hatte, war ziemlich an ihm vorbeigegangen.“ Sie lächelte bei der Erinnerung. „Mein Vater war damals so zerstreut, dass ich mich mehr als einmal fragte, wie er es überhaupt geschafft hatte, meine Mutter zu schwängern. Wahrscheinlich hat sie dabei auch das Regiment geführt.“ Linda schmunzelte bei der Erinnerung. „Ich will mich nicht beklagen. Sie sind beide eigentlich ganz reizende Menschen, wenn man weiß, wie man sie nehmen muss. Nur, als Teenager machte mich dieses Verhalten fast wahnsinnig. Alle Dinge, die jeder Heranwachsende für normal hält, musste ich mir hart erkämpfen. Darunter fielen nicht nur meine ersten Jeans, sondern auch Nike-Turnschuhe, die ich damals unbedingt haben wollte, oder die Erlaubnis, zu einem Schulfest gehen zu dürfen. Mein bestes Druckmittel war mein provozierender Gesang, der sie mehr als gereizt hatte, und die Androhung einer bewussten Fehlentscheidung, was meine berufliche Zukunft anging.“
„Was hast du ihnen denn angedroht, was du werden willst?“
„Schuhverkäuferin.“ Philipp versuchte sich ob der grotesken Vorstellung mit geschlossenen Augen an einem Grinsen.
Linda erzählte davon, wie sie in ihrem Kinderzimmer gestanden und Lieder der verachtenswerten amerikanischen Popkultur gegen die verschlossene Tür geschmettert hatte. Nur um ihre Eltern zu ärgern oder sich an ihnen für ein Verbot zu rächen. I Am What I Am war dabei ihr Lieblingslied gewesen, da es ihre Situation so treffend beschrieb. Sie war auf der Suche nach Identität. Nach einem Platz im Leben, der nicht von ihren Eltern vordefiniert war. Sie wollte jemand sein. Unabhängig. Stark. Deshalb floss der Liedtext beim Singen direkt aus ihrem Herzen.
„Das habe ich bei deinem Auftritt gespürt. Etwas war vollkommen anders als bei allen anderen, die gesungen haben. Du hast eine Leidenschaft und Intensität ausgestrahlt, an der man sich hätte verbrennen können. Du hast dieses Lied gelebt . Ich habe gespürt, dass es eine tiefere Bedeutung für dich haben musste. Wusste nur nicht, welche. Wäre auf so eine Erklärung aber nie gekommen.“ Das Sprechen hatte ihn angestrengt. Philipp versuchte, seinen unregelmäßigen Atem wieder zu beruhigen.
Linda nahm den Waschlappen und legte ihn Philipp auf die Stirn und strich dabei mit den Fingern sanft über seine Wangen. „Es ist interessant, dass du es so empfunden hast. Als ich vor Angst schlotternd auf der Bühne stand – hundert Augenpaare erwartungsvoll auf mich gerichtet – war ich in Gedanken wirklich wieder in meinem Kinderzimmer und habe die ganzen Demütigungen und emotionalen Verletzungen meiner Kindheit durchlebt. Erst dadurch konnte ich meine Angst besiegen und mich der Herausforderung stellen.“
Das weiche Schlingern des Schiffes verstärkte sich wieder, als es von kraftvollen Stößen großer Wellen zur Seite gedrückt wurde. Philipp stöhnte auf.
„Hoppla!“ Linda hielt geistesgegenwärtig die Teetasse fest, die sich aus ihrer Ecke gelöst hatte. „Was ich meiner Mutter in der Grundschule aber nicht verzeihen konnte“, fuhr sie fort, „war ihre Abneigung Barbiepuppen gegenüber und ihre damit zusammenhängende Entscheidung, mir keine zu kaufen. Alle Mädchen spielten damals damit, aber mir wollte sie keine schenken. Sie empfand diese magersüchtigen Püppchen mit ihren Wespentaillen und der enormen Oberweite als Schlag ins Gesicht der Emanzipation, da sie nur auf ihr gutes Aussehen reduziert waren. Das sei sexistisch und frauenverachtend. Deshalb würde sie mir keine kaufen, meinte sie damals.“
Linda merkte, dass Philipp ein paar Mal zwanghaft schlucken musste und wieder zu würgen begann. Schnell hielt sie ihm einen neuen Behälter hin und stützte seinen Rücken, als er den Tee erbrach.
„Ja, das mit den Barbies fand ich damals auch zum Kotzen“, meinte sie nur trocken.
Neunter Tag – nachts
Denn alles, was ein Mann wirklich braucht,
ist seine Ruhe ..., seine Ruhe ... 3/9
Gegen später flüsterte Linda, sie sei gleich wieder bei ihm. Sie ginge nur kurz in ihre Kabine. Damit sie bei ihrer Rückkehr nicht klopfen musste, nahm Linda seine Bordkarte an sich.
In ihrer Kabine stopfte sie kurzerhand ihr Nachthemd, Zahnbürste und noch ein paar Dinge in den
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