Elementarteilchen kuessen besser
flüsterte Linda in den Hörer, sie sei bei Philipp in der Kabine, weil es ihm schlecht ginge. Sie würde nicht mit den beiden zum Abendessen gehen.
Betty – berühmt für ihr geduldiges Zuhören – schnappte den Anfang des Satzes auf und schrie Anna freudig zu, Linda sei in Philipps Kabine und würde dort vermutlich auch bis morgen früh bleiben. Sofort bestürmte sie ihre Freundin mit Fragen, auf die sie Linda gar keine Gelegenheit gab zu antworten. Irgendwann in einer der wenigen kleinen Atempausen Bettys bat Linda leise, mit Anna sprechen zu dürfen. Als diese sich meldete, meinte Linda trocken, es täte ihr leid, die beiden enttäuschen zu müssen, aber sie sei nur in Philipps Kabine, weil er seekrank sei und sie ihn nicht alleine lassen wolle. Anna seufzte ein wenig, bot aber sofort ihre Hilfe an.
„Philipp hat Tabletten gegen Seekrankheit und Tee habe ich ihm auch schon bestellt. Sonst braucht er eigentlich nichts. Etwas zu essen wird er vermutlich eh nicht bei sich behalten können ...“
„Und wie sieht's mit dir aus? Soll ich dir etwas in die Kabine bringen?“
Linda merkte, wie sich ihr leerer Magen meldete, während sie auf die grauen Wolken und das aufgewühlte Meer blickte. „Das wäre toll, dann muss ich ihn nicht alleine lassen – er schläft jetzt nämlich. Aber bring bitte nur kalte Sachen, die nicht zu stark riechen. Sonst wird ihm womöglich wieder schlecht.“ Dann fiel ihr noch etwas ein. „Leg bitte noch ein paar Scheiben Weißbrot dazu, falls er heute Nacht etwas essen möchte.“
Die Wartezeit vertrieb sie sich damit, im schummrigen Licht des Nachttischlämpchens alle lose herumliegenden Dinge in Schubladen, Schränke oder Taschen zu verstauen, damit sie durch den hohen Seegang nicht umherrutschten. Dafür öffnete sie auch Philipps Kleiderschrank und blieb schnuppernd davor stehen. Der vertraute Duft seines Waschmittels stieg ihr in die Nase und ließ aufwühlende Bilder ihrer ersten Küsse und des heute verbrachten Tages lebendig werden. Vorsichtig strich sie über die ordentlichen Stapel T-Shirts und Freizeithosen. Sie machten auf sie nicht den Eindruck zwanghafter Ordnung, sondern eher lässiger Sorgfalt eines Menschen, der seine Lieblingsstücke achtsam behandelte, damit er noch lange Freude an ihnen hatte.
Auf den Bügeln hingen langärmlige Hemden in Hellblau, Weiß und Schwarz. Ihr war schon früher aufgefallen, dass er seine Ärmel immer hochgekrempelt trug. Sie schmunzelte. Vielleicht waren ihm Hemden mit kurzen Ärmeln zu altbacken. Wer wusste das schon.
Neugierig schob sie die Hand zwischen zwei Stapel, wo sie es vor ein paar Tagen hatte silbrig aufblitzen sehen, als sie nur in Unterwäsche bekleidet – mit tausend Schmetterlingen im Bauch – in Philipps Kabine gesessen war. Doch sie spürte nichts außer weichem Stoff. Enttäuscht zog sie die Hand zurück. Entweder hatte sie es sich nur eingebildet oder Philipp hatte die Handschellen – oder was auch immer es gewesen war – schon weggeräumt.
Es klopfte leise an die Tür. Philipp schlief noch, als Linda den Teller aus Annas Händen mit Besserungswünschen an den Patienten entgegennahm.
An einem kleinen Tischchen zu essen, während das Schiff von den Wellen hin und her gedrückt wurde, war gar nicht so einfach, wie sie feststellen musste. Das, was draußen zu sehen war, war noch weit von einem Sturm entfernt. Aber dennoch hatten die aufgewühlten Wellen so viel Kraft, ein Schiff dieses Ausmaßes schwanken zu lassen wie eine Schaukel im Wind. Linda war zum ersten Mal froh, über einen so standfesten Magen zu verfügen.
Als sie satt war, regte sich Philipp und blinzelte im gedämpften Licht. Sie setzte sich neben ihn und blickte in sein wächsernes Gesicht. „Geht's besser?“
„Mmh“, meinte er unbestimmt.
„Willst du noch mal eine Tablette nehmen? Die andere hatte keine Zeit zu wirken, bevor sie wieder das Licht der Welt erblickt hat.“
„Wäre sicher sinnvoll. Weiß bloß nicht, ob ich die Flüssigkeit bei mir behalte“, murmelte Philipp kraftlos.
„Willst du's versuchen, solange der Tee noch warm ist?“
Mit ein paar kleinen Schlucken würgte er eine Tablette hinunter und legte sich wieder seufzend auf sein Kissen. Zärtlich strich sie über seine kalte Stirn und klemmte die Teetasse hinter einem Vorsprung auf dem Nachttischchen fest. Dann lehnte sie sich neben ihm an die Wand und legte den Arm um ihn.
Sie betrachtete Philipp, wie er so saft- und kraftlos dalag. Wie ein gefällter Baum. So ein
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