Elementarteilchen kuessen besser
Linda zu wenig Erfahrung und viel zu wenig Mut, um das wirklich souverän durchzuziehen. So wie Desirée es getan hätte.
Linda beobachtete, wie Desirée sich einschmeichelte und mit ihren Augen flirtete. Sie legte lächelnd die Hand auf Philipps Unterarm und strich mit dem Daumen über seine nackte Haut. Vertraulich beugte sie sich zu ihm vor und flüsterte ihm etwas zu, über das er scheinbar schmunzelte.
Linda zerriss es das Herz. Sie ertrug es nicht länger und schaute weg. Gewissenhaft ließ sie die Augen über die Nachbartische schweifen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Doch der Erfolg war bestenfalls erbärmlich.
„Kommst du mit?“, fragte Anna, die mit Jan und Tim aufgestanden war.
„Wohin?“, fragte Linda verwirrt.
„Wir gehen tanzen. Und dir würde es sicher auch ganz gut tun.“ Sie deutete in Philipps Richtung. „Bringt dich auf andere Gedanken.“
Linda stand auf und folgte den Dreien erleichtert. Vielleicht würde ihr das helfen. Sie ein wenig ablenken ...
Vier Lieder hielt sie es aus, dann schlängelte sie sich wieder zu ihrem Tisch, um zu sehen, ob die Besprechung schon fertig war. Doch Philipp und Desirée saßen nicht mehr an ihrem Platz. Hektisch blickte sie sich um und sah, wie sich beide in Richtung Ausgang bewegten.
Was sie aber noch mehr erschreckte, sie sozusagen bis tief in ihr Innerstes erschütterte, war die Tatsache, dass Desirées Arm eng um Philipps Taille lag und Philipps Arm um Desirées Schulter. Zwischen den beiden hätte noch nicht einmal ein Moskito durchgepasst, so aneinandergeschmiegt waren sie. In dem Moment blickte Desirée kurz über ihre Schulter und suchte Lindas Blick. Das triumphale Aufblitzen in diesen kalten, blauen Augen, bevor sie ihren Kopf an Philipps Schulter lehnte, zog Linda den Boden unter den Füßen weg und ließ sie auf ihren Stuhl plumpsen. Desirée hatte gewonnen. Sie hatte ihr Philipp vor der Nase weggeschnappt, wie sie es angedroht hatte.
Wetten, ich könnte ihn dir ausspannen? Jederzeit?
Zehnter Tag – nachts
Durch diese mondhelle Nacht, ich seh genau, was ihr macht.
Doch alles, was ich weiß, ist, dass ich nichts mehr weiß. 1/7
Lindas Körper rebellierte. Sie hatte das Gefühl, als hätte ihr jemand in den Magen geboxt und damit die letzte Luft herausgepresst. Ihr wurde flau und etwas schwindelig.
Sie musste es mit eigenen Augen sehen. Musste die beiden in der Kabine verschwinden sehen, bevor sie wirklich glaubte, dass Philipp sich einfach so einer anderen zuwandte, weil sie sich vermutlich zu lange wie ein Mauerblümchen geziert hatte und er nun seinen sexuellen Frust bei einer anderen, erfahreneren Frau abreagieren musste.
Hastig schob sie verkleidete und gut gelaunte Partygäste zur Seite, um schneller den Ausgang zu erreichen. Dadurch stolperte jemand, der sich gerade noch an der Tischkante festhalten konnte und dabei beinahe die Tischdecke mit allen Gläsern runtergezogen hätte. Aber nur beinahe.
Doch Linda war im Moment alles egal. Ihr Herz blutete zu sehr, als dass sie auf andere achten konnte. Als sie den Gang erreichte, sah sie gerade noch, wie das Paar nach rechts abbog. Vorsichtig rannte sie ihnen nach und spähte um die Ecke. Sie standen mit dem Rücken zu ihr vor dem Fahrstuhl. Philipp beugte sich zu Desirées Kopf, der immer noch an seiner Schulter lag, und flüsterte ihr etwas zu. Linda beobachtete die in trauter Zweisamkeit Umschlungenen fassungslos. Sie fühlte sich wie in Trance. War das wirklich real oder nur irgend so ein seltsamer Traum wie viele, die sie hier auf dem Schiff schon gehabt hatte?
Die Aufzugtüren glitten auf und beide stiegen mit andern Passagieren ein. Linda würde ihr gesamtes Geld verwetten, dass sie auf dem Deck ausstiegen, wo ihre Kabinen lagen. Sie beschloss, die Treppe zu nehmen, über die sie schneller sein würde als ein voller Fahrstuhl, der auf jedem Deck halten musste.
Leise schluchzte sie auf, als sie an die schönen, gemeinsam verbrachten Stunden mit Philipp dachte. Und auch daran, dass sie sich ihm geöffnet hatte, wie noch keinem Menschen vor ihr. Uuh, wenn sie nur daran dachte, wie sie ihm von ihrer Unerfahrenheit in Beziehungsdingen erzählt hatte! Dass ihre einzigen Erfahrungen darin bestanden, was sie aus Rogers Liedern kannte ... dann schämte sie sich dafür zu Tode. Kein Wunder zog er ihr die weltgewandtere Desirée vor!
Schnell rannte sie zu ihrem Deck und überlegte sich, wo sie sich am besten aufstellen konnte, ohne gleich von den beiden gesehen zu werden.
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