Elementarteilchen kuessen besser
und Anna sie mit der Einzelkabine oder ihren selbst organisierten Ausflügen eigentlich bevormundeten, würde Linda es wohl oder übel mit sich geschehen lassen. Vielleicht geschah wirklich ein Wunder und ihre Freundinnen hatten die richtige Strategie auf dieser Reise, um aus der grauen Maus Linda eine Partylöwin zu machen – oder wenigstens doch eine Frau, die sich in Gegenwart fremder Männer traute, ihren Mund aufzumachen, ohne in jedes verfügbare Fettnäpfchen zu treten. Schlechter konnten ihre sozialen Fähigkeiten auf gar keinen Fall mehr werden!
Deshalb geriet Lindas Entschluss ins Wanken. Wenn sie mit ihren Freundinnen zusammen auftrat, würde sie sich auf jeden Fall sicherer fühlen, da sie noch nie auf einer Bühne vor anderen Menschen gesungen hatte. Dann wäre alles nur noch halb so schlimm. Und Betty würde vielleicht endlich aufhören, sie zu spontanen Handlungen zu nötigen. Zur Not konnte sie auch nur lautlos den Mund bewegen und so tun, als ob, tröstete sie sich.
Genau diese Gründe gaben den Ausschlag, weshalb Linda aufseufzte und meinte: „Okay, von mir aus.“ Das Jubeln ihrer Freundinnen ließ sie ihre Entscheidung fast schon bereuen.
Als das Lied geendet hatte, sprang Betty gleich auf und meldete sich für das nächste Stück. Zu dritt stiegen sie die Stufen zur Bühne hinauf, während Betty nach dem Mikrofon griff und den Zuschauern im Vorfeld erklärte: „Das nächste Lied war für uns drei eine Art Hymne, als wir noch jung und knusprig waren.“ Dafür erntete sie ein paar Lacher. „Wir pflegten, es gemeinsam in frustrierenden Situationen und zur Bestärkung unseres Zusammengehörigkeitsgefühls lauthals herauszuschmettern.“
Philipp reckte neugierig den Hals. Jetzt war er mal auf die Drei gespannt. Doch halt ... was war das? Betty hatte das Mikrofon Linda in die Hand gedrückt, ihr etwas ins Ohr geflüstert und dann die verdatterte Anna von der Bühne gezogen. Nach Lindas Gesichtsausdruck zu urteilen, fühlte sie sich genauso überrumpelt wie ihre Freundin. Das versprach, spannend zu werden.
Vierter Tag – abends
Du bist eine, mit der man mal müsste,
man müsste sich nur mal trau'n.
Du stehst ganz oben auf meiner Liste
der noch zu küssenden Frau'n. 2/1
„Diese Erfahrung wird dir gut tun“, hatte Betty ihr zugeflüstert, als die Leute in Erwartung des Beitrags schon zu klatschen begannen. Soll das ein Witz sein? , fragte sich Linda schockiert. Das konnte Betty ihr nicht antun!!
Diese saß aber bereits breit grinsend und frenetisch klatschend auf ihrem sicheren Platz im Publikum und lächelte Linda mit zwei hochgereckten Daumen aufmunternd zu, die ihre sogenannte Freundin in diesem Moment am liebsten erwürgt hätte. Dafür würde sie sich an Betty rächen. Sie wusste zwar noch nicht, wie. Aber sie sollte nicht ungestraft davonkommen.
Dennoch fühlte sie in ihrem Inneren eine Reaktion auf diese Kampfansage. Ihr Widerspruchsgeist war geweckt worden. Sie würde das durchstehen – komme, was da wolle. Das hatte sie sich vorgenommen. Noch vor einer halben Stunde hatte sie sich auf der Damentoilette geschworen, einen neuen Weg einzuschlagen. Und deshalb würde sie sich nicht die Blöße geben, ohne einen Ton zu singen, beschämt von der Bühne zu gehen. Das wäre nur eine Bestätigung für Philipps Behauptung, sie sei zu verklemmt, um sich zu amüsieren. Und diese Genugtuung würde sie ihm nicht geben. Garantiert nicht!
Während Linda alleine von Scheinwerfern geblendet auf der Bühne stand, erkannte sie nur schemenhafte Personen im Zuschauerraum und dachte verzweifelt daran, dass man sich die Zuhörer bei einem Vortrag nackt vorstellen sollte, um das Lampenfieber in den Griff zu bekommen. Darauf würde sie allerdings lieber verzichten, beschloss sie, da Philipp auch im Publikum saß und allein der Gedanke an seinen nackten Körper sie so nervös machen würde, dass sie keinen Ton herausbekam. Mit den Fingerspitzen zupfte sie an ihrer hochgerutschten Bluse über ihrem Rock.
Als das Lied begann, umklammerte sie das Mikrofon und schloss die Augen, damit sie niemanden sehen musste. Dass dieses Lied für sie und ihr Leben mehr bedeutete als eine bloße Hymne, die sie aus Jux und Tollerei vor Jahren mit ihren Freundinnen gesungen hatte, wussten die beiden nur ansatzweise. Linda hatte ihnen am Anfang ihrer Freundschaft nur wenige Gründe dafür genannt, warum ihr das Lied so gut gefiel.
Als ihr Einsatz kam, schlüpfte ein leises und etwas zittriges I am what I am / I am my
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