Elementarteilchen kuessen besser
hervor. Versuchsweise zog sie ihre Bluse aus dem Rocksaum, um sie über ihrem straffen Bauch – jedoch nur knapp über dem Gürtel – zusammenzuknoten.
Ihre Augen glänzten fieberhaft, als sie sich im Spiegel betrachtete, und ihre Wangen glühten vor Aufregung in einem zarten Rosé. Allein diese zwei kleinen Veränderungen an ihrer Bluse hatten eine dermaßen durchschlagende Wirkung, wie die Erfindung des Penizillins in der Medizin. Und ihre offenen Haare hinterließen ein männermordendes Versprechen, dessen Wahrscheinlichkeit auf Erfüllung mit einem Quantensprung in den Himmel schoss.
Das war nicht sie, stellte sie fest. Das war eine Frau, die den Männern den Kopf verdrehen sollte, es aber nicht konnte. Doch heute Abend würde sie den ersten Schritt in genau diese Richtung wagen.
Probeweise ging sie mit wiegenden Hüften hin und her und versuchte ein Gefühl für diesen lasziven Gang zu bekommen, den Sofia Loren und Brigitte Bardot perfektioniert hatten, ohne lächerlich zu wirken. Energisch zog sie anschließend die Tür der Damentoilette auf und wiederholte in ihrem Kopf die mantraesken Worte: „Ich werde Philipp beeindrucken. Ich schaffe das.“
Der Rückweg führte sie in die Nähe von Philipps Tisch, wo dieser mit zwei Kollegen stand und sich entspannt unterhielt. Als er sie kommen sah, hielt er inne, wobei sein schönes Lächeln in sich zusammenfiel. Keine zwei Meter von ihm entfernt warf Linda ihm ein – wie sie hoffte – verführerisches Lächeln zu und meinte mit rauchiger Stimme: „Hallo Philipp. Dein Gesang war wirklich erstklassig. Danke.“
Dann drehte sie ab und ging langsam und Hüfte schwingend zu ihrem Tisch weiter. Am liebsten wäre sie die letzten Meter zu ihrem Platz gerannt. Doch sie gab dem Impuls nicht nach, sondern atmete bewusst tief ein, um ihr flatterndes Herz zu beruhigen.
Als Anna Lindas neue Erscheinung erblickte, wäre sie fast vom Stuhl gefallen. Erschrocken fragte sie: „Was ist denn mit dir passiert?“
„Was soll schon passiert sein“, fragte Linda fast schon ein bisschen beleidigt zurück. „Mir war warm und eine Strähne im Knoten hat unangenehm gezogen. Deshalb habe ich ihn aufgemacht. Sieht es so schlimm aus?“ Jetzt war Linda doch ein bisschen verunsichert. Hatte sie sich vor Philipp vielleicht lächerlich gemacht?
„Nein, nein“, versicherte Anna schnell. „Du siehst gut aus, nur eben ... ein wenig ungewohnt.“
„Was sie meint, ist: Du siehst aus wie die Verlockung schlechthin. Eine verführerische Sirene, die einen Mann im Bett problemlos in den Wahnsinn treiben kann, sodass er auf den Knien rutschend verzweifelt um mehr bettelt“, klärte Betty sie auf. Und als in dem Moment die Lichter ausgingen, freute sie sich wie ein Kind: „Oh still, es geht weiter.“
Gleich der erste Beitrag wurde von zwei Frauen bestritten, die ein gut gelauntes Dancing Queen von ABBA zum Besten gaben und ausgelassen dazu tanzten.
Als alle applaudierten, meinte Anna verträumt: „Wisst ihr noch, wie wir während des Studiums immer unsere Hymne geschmettert haben? Das waren noch Zeiten ...“
„Also, wenn diese zwei Heulbojen sich auf die Bühne stellen können, können wir das auch, findet ihr nicht?“, warf Betty dazwischen.
„Oh, meinst du ...?“, begann Anna mit leuchtenden Augen. „Ich weiß nicht, ob ...“
Linda jedoch schon: „Und ich weiß ganz genau, dass ich nicht vor allen anderen singen werde. Das könnt ihr vergessen.“
„Ach, komm schon“, versuchte sie Betty zu ermuntern, während ein Mann begann, eine grauenhafte Version von Money For Nothing von den Dire Straits runterzunudeln. „Früher haben uns auch alle im Wohnheim gehört, wenn uns mal der Rappel gepackt hat.“ Sie stieß mit ihrem Ellenbogen in Lindas Rippen. „Wovor hast du Angst? Wir haben das Lied doch schon so oft gesungen und keiner hat uns je ausgelacht. Außerdem wäre das eine gute Übung für dich im Fachbereich Spontaneität und Abenteuerlust“, fügte sie schmunzelnd hinzu.
Linda seufzte innerlich abgrundtief. Betty war manchmal wie ihre Mutter. Sie wollte alles bestimmen und die Menschen in die Richtung lenken, die ihr wichtig war. Allerdings … und jetzt kam ein sehr großes allerdings … pochte Betty nicht auf die Einhaltung von Konventionen, wie es ihre Mutter ihr Leben lang getan hatte. Betty schritt forsch genau in die Richtung, die Linda selbst gerne beschreiten würde, es aber aus Mangel an Erfahrung nicht konnte – oder sich nicht traute. Auch wenn Betty
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