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Elementarteilchen kuessen besser

Elementarteilchen kuessen besser

Titel: Elementarteilchen kuessen besser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regina Wall
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hatte. Sie empfand dieses Verhalten immer als widerwärtige Selbstbeweihräucherung, die sie zutiefst verachtete. Maßnahmen wie schlechte Noten in Arbeiten oder absichtlich gegebene, falsche Antworten änderten nichts in Lindas Verhältnis zu den Mitschülern. Es wurde – wenn überhaupt möglich – nur noch schlechter.
    Als Folge dessen zog sie sich zurück und kapselte sich immer mehr von den anderen ab. Da sie sich irgendwann resigniert in ihr Schicksal fügte, hatte sie dementsprechend wenige Kontakte, die das andere Geschlecht betrafen – außer diesem einen unsäglich peinlichen Mal auf dieser Party. Demzufolge gab es für sie auch keine weiteren diesbezüglichen Erfahrungen zu sammeln.
    Ihre weltfremden Eltern, die als Wissenschaftler in so trockenen Bereichen wie Historische Sprachwissenschaft und Theoretische Grammatik des Deutschen promoviert und habilitiert hatten, waren ihr in solchen Momenten auch keine Hilfe. Sie betonten immer wieder, dass man sich im Leben nur auf sich selbst verlassen könne und es wichtiger sei, Erfolg im Beruf zu verbuchen, als sich darüber aufzuregen, was andere über einen dachten. Sie solle die anderen links liegen lassen und sich auf ihr Abitur konzentrieren. Punkt.
    Während des Studiums war sie dann – nach dieser Vorgeschichte verständlich – nicht gerade vorgeprescht, um die versäumten Männerbekanntschaften und die damit zusammenhängenden Erfahrungen nachzuholen. Zwei Studenten hatten sich zwar für sie interessiert. Doch sobald Linda spürte, dass zwischenmenschlich etwas von ihr gefordert wurde oder sie selbst jemanden attraktiv fand, fühlte sie sich emotional unsicher, blockiert und schlichtweg überfordert.
    Und dann passierten immer diese Dinge ...
    Unangenehme Missgeschicke.
    Sachen fielen herunter oder zerbrachen. Gegenstände lagen ihr im Weg, über die sie stolperte. Einmal klemmte sie sogar den Finger eines Kommilitonen in einem Laborgerät ein, nur weil er sie arglos gefragt hatte, ob sie ihn in die Mensa begleiten wolle.
    Trotz besseren Wissens ließ sie sich, als sie mitten in den Vorbereitungen für die Abschlussprüfungen steckte, von einem Studenten umwerben und gab seinen Schmeicheleien nach. Doch als er ihr am Abend ihrer Verabredung einen Abschiedskuss geben wollte, passierte es wieder. Sie hob ruckartig den Kopf und stach ihm mit ihrer Nasenspitze ins Auge. Dann versuchte er es erneut, sie verkrampfte und blieb reglos stehen, um sich erwartungsvoll küssen zu lassen. Doch nach einer Weile hielt er inne, schaute sie an und meinte enttäuscht, das hätte er sich anders vorgestellt. Sie würde genauso leidenschaftlich küssen wie eine jahrtausendealte Mumie.
    Von da an hatte sie sich geschworen, sich nur noch auf ihre Prüfungen und ihre Karriere zu konzentrieren, denn kein Elementarteilchen konnte einen derart enttäuschen.
    Mittlerweile war sie – trotz ihres noch jungen Alters – fast schon eine Koryphäe auf ihrem Gebiet. Auch wenn es an ihrem Institut Neider und böse Zungen gab, die ihr den beachtlichen Erfolg missgönnten, war ihre Meinung national wie auch international gefragt und respektiert. Dementsprechend selbstsicher und kompetent fühlte sie sich, wenn sie einen Vortrag bei einem Kongress hielt und die anschließenden – zum Teil auch kritischen – Fragen fachkundig beantwortete. Ganz im Gegensatz zu ihren privaten Katastrophen.
    Linda bemerkte, wie sie gedankenverloren auf das Muster des Teppichs starrte, während sie ihren Gedanken freien Lauf ließ. Ruckartig stand sie auf und schüttelte die unangenehmen Erinnerungen ab. Sie wollte lieber schnell den Koffer auspacken und sich nach diesem heißen Tag unter der Dusche erfrischen, bevor sie sich wieder mit Bettina und Anna traf.
    Energisch packte sie den schweren Trolley am Griff und wuchtete ihn auf ihr Bett. Aus ihrer Hosentasche nahm sie den Schlüssel für das Schloss, das den Reißverschluss für die Anreise zusammenhielt, und wollte aufschließen. Überrascht bemerkte sie jedoch, dass die zwei Reißverschluss-Zipper nur mit einer Schnur zusammengebunden waren.
    Oh, das darf doch nicht wahr sein , dachte sie entsetzt. Der Koffer wird doch wohl nicht auf dem Flug hierher aufgegangen sein!
    Fahrig versuchte sie, den Knoten zu lösen. Als sie den Reißverschluss voll böser Vorahnungen in beide Richtungen bis zum Anschlag aufzog und den Deckel öffnete, hätte sie nichts mehr überraschen können, als das, was sich wie auf einem Silbertablett ihren verdutzt aufgerissenen

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