Elementarteilchen
durch die Vermittlung des geliebten Wesens und durch das Prinzip der Ausschließlichkeit erreicht werden. Das sexuelle Modell, das in der liberalen Gesellschaft, in der Bruno und Christiane lebten, durch die offizielle Kultur (Werbung, Zeitschriften, soziale Einrichtungen und Gesundheitsbehörden) propagiert wurde, war das Modell des Abenteuers: i nnerhalb eines solchen Systems tauchen sexuelles Begehren und sexuelle Lust im Anschluß an einen Prozeß der Verführung auf, der den Akzent auf das Neue, die Leidenschaft und die individuelle Kreativität legt (also jene Eigenschaften, die im übrigen auch von den Angestellten im Rahmen ihres Berufslebens verlangt werden). Die Entwertung geistiger und moralischer Verführungskriterien zugunsten rein körperlicher Kriterien führte dazu, daß die Stammgäste der Swinger-Clubs nach und nach zu einem leicht modifizierten System übergingen, das man als Phantasma der offiziellen Kultur betrachten konnte: das an Sade orientierte System. Innerhalb eines solchen Systems sind die Schwänze ausnahmslos steif und überdimensional, die Brüste mit Silikon aufgeblasen und die Mösen enthaart und naß. Die weiblichen Stammgäste der Swinger-Clubs, zumeist Leserinnen von C onnexion oder Hot Video, setzten sich für ihre Abende ein einfaches Ziel: sich von möglichst vielen langen Schwänzen rammeln zu lassen. Die nächste Etappe stellten für sie im allgemeinen die SM-Klubs dar. Der Orgasmus ist eine Frage der Gewohnheit, hätte Pascal vermutlich gesagt, wenn er sich für solche Dinge interessiert hätte.
Mit seinem Schwanz von dreizehn Zentimeter Länge und seinen immer seltener werdenden Erektionen (seine Erektionen hatten nie sehr lange angehalten, außer in seiner frühen Jugend, und die Latenzzeit zwischen zwei Ejakulationen hatte sich seitdem erheblich verlängert; er war auch nicht mehr der jüngste) war Bruno im Grunde an solchen Orten völlig fehl am Platz. Dennoch war er glücklich, daß ihm mehr Mösen und Münder zur Verfügung standen, als er je zu träumen gewagt hätte; und dafür fühlte er sich Christiane zu Dank verpflichtet. Die angenehmsten Augenblicke waren für ihn jene, in denen sie andere Frauen streichelte; ihre Partnerinnen waren stets entzückt darüber, mit welch flinker Zunge und mit was für geschickten Händen sie deren Klitoris entdeckte und reizte; wenn diese Frauen sich jedoch entschlossen, sich zu revanchieren, stellte sich im allgemeinen leider herbe Enttäuschung ein. Ihre Mösen, durch serienmäßige Penetrationen und brutale (häufig mit mehreren Fingern oder sogar mit der ganzen Hand praktizierte) Fingerübungen übermäßig geweitet, waren etwa ebenso empfindsam wie ein Schmalzblock. Vom hektischen Rhythmus der Darstellerinnen in den herkömmlichen Pornofilmen inspiriert, wichsten sie seinen Schwanz mit einer lächerlichen, brutalen Kolbenbewegung wie einen unempfindlichen Fleischstengel (die ständige Präsenz von Techno -Musik anstelle von Rhythmen mit subtilerer Sinnlichkeit spielte beim übertrieben mechanischen Charakter ihrer Leistungen gewiß ebenfalls eine Rolle). Er ejakulierte schnell und ohne wirkliche Lust; für ihn war damit der Abend gelaufen. Sie blieben noch eine gute halbe Stunde; Christiane ließ sich ununterbrochen penetrieren und versuchte dabei - im allgemeinen vergeblich -, seine Potenz wiederzubeleben. Morgens, wenn sie aufwachten, schliefen sie erneut miteinander; die Bilder aus der vergangenen Nacht kamen ihm wieder in sanfterer Form im Halbschlaf vor Augen; das waren dann außerordentlich zärtliche Augenblicke.
Die ideale Lösung hätte vermutlich darin bestanden, einige ausgewählte Paare einzuladen, den Abend zu Hause zu verbringen und freundschaftlich plaudernd ein paar Zärtlichkeiten auszutauschen. Sie würden bald diesen Weg einschlagen, Bruno war zutiefst davon überzeugt; er mußte auch die Übungen zur Muskelstärkung, die diese amerikanische Sexologin vorschlug, wieder machen; seine Geschichte mit Christiane, die ihm mehr Freude eingebracht hatte als jedes andere Ereignis in seinem Leben, war eine wichtige und ernste Angelegenheit. Zumindest meinte er das manchmal, wenn er zusah, wie sie sich ankleidete oder sich in der Küche zu schaffen machte. Wenn sie jedoch die übrige Woche fern von ihm verbrachte, hatte er meistens das Gefühl, daß es sich um einen schlechten Scherz handele, den letzten bösen Streich, den ihm das Dasein spielte. Unser Unglück erreicht erst dann seinen Tiefpunkt,
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