Elementarteilchen
mit Christiane verbrachte. In der FNAC entdeckte er in der Gesundheitsabteilung ein Buch, in dem eine amerikanische Sexologin versuchte, den Männern mit Hilfe einer Reihe von stufenweise aufgebauten Übungen beizubringen, ihre Ejakulation zu beherrschen. Es handelte sich im wesentlichen darum, einen kleinen bogenförmigen Muskel zu stärken - den Scham-Steißbeinmuskel -, der sich direkt unter den Hoden befand. Durch eine plötzliche, starke Anspannung dieses Muskels kurz vor dem Orgasmus bei gleichzeitigem tiefen Einatmen war es im Prinzip möglich, die Ejakulation zu vermeiden. Bruno begann, diese Übungen zu machen; dieses Ziel war es wert, daß man sich etwas Mühe gab. Jedesmal, wenn sie ausgingen, verblüffte es ihn, wenn er Männer sah, die manchmal älter waren als er und die mehrere Frauen hintereinander penetrierten und sich stundenlang wichsen und lutschen ließen, ohne daß ihre Erektion jemals nachließ. Außerdem stellte er beschämt fest, daß die meisten einen viel längeren Schwanz hatten als er. Christiane sagte ihm immer wieder, daß das nichts mache, daß ihr das völlig unwichtig sei. Er glaubte ihr, denn sie war sichtlich verliebt, aber er hatte trotzdem das Gefühl, daß die meisten Frauen, die er in diesen Nachtklubs traf, leicht enttäuscht waren, wenn er sein Glied herausholte. Es hatte nie eine Bemerkung gegeben, die Höflichkeit aller Anwesenden war beispielhaft, die Atmosphäre freundlich und nett; aber es gab Blicke, die nicht täuschten, und nach und nach wurde ihm klar, daß er auch auf sexuellem Niveau den Anforderungen nicht ganz gewachsen war. Dennoch erlebte er Augenblicke unerhörter, überwältigender Lust, an der Grenze zur Ohnmacht, die ihm ein regelrechtes Gebrüll entrissen; aber das hatte nichts mit männlicher Potenz zu tun, sondern eher mit einer sehr ausgeprägten Empfindlichkeit der Organe. Außerdem streichelte er sehr gut, Christiane hatte es ihm oft gesagt, und er wußte, daß es stimmte, es kam ganz selten vor, daß es ihm nicht gelang, eine Frau zum Orgasmus zu bringen. Gegen Mitte Dezember stellte er fest, daß Christiane etwas abnahm und ihr Gesicht mit roten Flecken bedeckt war. Ihr Rückenleiden werde nicht besser, sagte sie, sie sei gezwungen, immer stärkere Medikamente einzunehmen; der Gewichtsverlust und die roten Flecken seien nur die Nebenwirkungen der Medikamente. Sie hatte sehr schnell das Thema gewechselt; er spürte ihre Verlegenheit und behielt einen Eindruck des Unbehagens zurück. Sie war bestimmt fähig, die Unwahrheit zu sagen, um ihn nicht zu beunruhigen: Sie war zu sanft, zu liebenswürdig. Samstag abends kochte sie im allgemeinen etwas, sie aßen sehr gut; und dann gingen sie in einen Nachtklub. Sie trug geschlitzte Röcke, durchsichtige Blusen, Strapse oder manchmal einen im Schritt geschlitzten Body. Ihre Möse war weich, erregend und sofort feucht. Es waren wunderbare Abende, er hatte nie zu hoffen gewagt, so etwas zu erleben. Manchmal, wenn sich Christiane von einem Mann nach dem anderen penetrieren ließ, spielte ihr Herz verrückt, schlug ein bißchen zu schnell, und plötzlich brach ihr so heftig der Schweiß aus, daß Bruno Angst bekam. Dann hörten sie auf; sie schmiegte sich in seine Arme, küßte ihn, streichelte ihm das Haar und den Hals.
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Natürlich gab es auch für sie keinen Ausweg. Die Männer und Frauen, die Swinger-Clubs besuchen, geben sehr bald die Suche nach sexueller Lust (die Feingefühl, Empfindsamkeit und langsames Vorgehen erfordert) zugunsten einer phantasmagorischen sexuellen Aktivität auf, die im Prinzip ziemlich unaufrichtig ist, da sie fast nur die gang bang Szenen der neuesten Pornos nachahmt, die auf Canal Plus gesendet werden. Als Huldigung an Karl Marx, der den rätselhaften Begriff des »tendenziellen Falls der Profitrate« einer schädlichen Entelechie gleich in den Mittelpunkt seines Systems gestellt hat, wäre es verlockend, im Mittelpunkt des libertären Systems, in das Bruno und Christiane gerade Eingang gefunden hatten, die Existenz des Prinzips eines tendenziellen Falls der Lustrate zu postulieren; doch das wäre zugleich summarisch und falsch. Das sexuelle Begehren und die sexuelle Lust, die im wesentlichen sekundäre kulturelle, anthropologische Phänomene sind, sagen letztlich so gut wie nichts über die Sexualität aus; sie sind keineswegs bestimmende, sondern im Gegenteil zutiefst soziologisch bestimmte Faktoren. In einem monogamen System, das auf Romantik und Liebe basiert, können sie nur
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