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Elementarteilchen

Elementarteilchen

Titel: Elementarteilchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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wenn die in greifbare Nähe gerückte praktische Möglichkeit des Glücks erblickt worden ist.
        Der Unfall ereignete sich in einer Nacht im Februar, als sie bei C hris et Manu waren. Bruno lag auf einer Matratze im größten Raum, den Kopf auf mehrere Kissen gebettet, und ließ sich von Christiane lutschen; er hielt ihre Hand. Sie kniete mit weit gespreizten Beinen über ihm und präsentierte ihren Hintern den Männern, die hinter ihr vorbeigingen, ein Kondom überzogen und sie nacheinander nahmen. Fünf Männer hatten sich bereits abgelöst, ohne daß sie ihnen einen Blick zugeworfen hatte; mit halbgeschlossenen Augen ließ sie wie in einem Traum ihre Zunge über Brunos Glied gleiten und erforschte Zentimeter um Zentimeter. Plötzlich stieß sie einen kurzen Schrei aus, einen einzigen. Der Typ hinter ihr, ein großer, starker Kerl mit lockigem Haar, penetrierte sie weiterhin gewissenhaft mit kräftigen Hüftbewegungen; sein Blick war leer und ziemlich unaufmerksam. »Aufhören! Aufhören!« keuchte Bruno; er hatte den Eindruck, zu schreien, doch seine Stimme versagte, er hatte nur ein leises Röcheln von sich gegeben. Er sprang auf und stieß den Typen, der mit aufgerichtetem Glied und hängenden Armen verwirrt dastand, roh zurück. Christiane war mit schmerzverzerrtem Gesicht auf die Seite gesunken. »Kannst du dich bewegen?« fragte er. Sie schüttelte den Kopf; er eilte zur Bar, bat darum, zu telefonieren. Der Krankenwagen traf zehn Minuten später ein. Alle Teilnehmer hatten sich wieder angekleidet; in völliger Stille sahen sie zu, wie die Sanitäter Christiane hochhoben und auf eine Bahre legten. Bruno stieg in den Krankenwagen und setzte sich neben sie; sie waren ganz in der Nähe des Krankenhauses Hôtel-Dieu. Er wartete mehrere Stunden auf dem mit Linoleum ausgelegten Flur, dann kam der Stationsarzt und teilte ihm mit, daß sie jetzt schlafe; es bestehe keine Lebensgefahr.
        Im Lauf des Sonntags wurde eine Rückenmarkprobe entnommen; Bruno kehrte gegen sechs ins Krankenhaus zurück. Es war schon dunkel, ein leichter, kalter Regen ging auf die Seine nieder. Christiane saß im Bett, man hatte ihr mehrere Kissen in den Rücken gestopft. Sie lächelte, als sie ihn sah. Die Diagnose war einfach: Die Nekrose ihrer Steißbeinwirbel hatte ein unheilbares Stadium erreicht. Sie hatte schon seit mehreren Monaten damit gerechnet, es konnte von einem Tag auf den anderen geschehen; die Medikamente hatten erlaubt, den Prozeß hinauszuzögern, ohne ihn jedoch aufhalten zu können. Jetzt würde sich ihr Zustand nicht mehr verändern, man brauchte keine Komplikationen zu befürchten; aber ihre Beine würden für immer gelähmt sein.

    Zehn Tage später wurde sie aus dem Krankenhaus entlassen; Bruno war da. Jetzt hatte sich die Situation geändert; das Leben zeichnet sich durch lange Zeiten unbestimmter Langeweile aus, meistens ist es ausgesprochen trübselig; und plötzlich taucht eine Abzweigung auf, und diese Abzweigung stellt sich als endgültig heraus. Christiane würde künftig eine Invalidenrente beziehen, sie brauchte nie mehr zu arbeiten; sie hatte sogar Anrecht auf eine kostenlose Haushaltshilfe. Sie kam ihm im Rollstuhl entgegen und stellte sich dabei noch etwas unbeholfen an - man mußte erst lernen damit umzugehen, und sie hatte nicht genügend Kraft in den Unterarmen. Er küßte sie auf die Wangen, dann auf die Lippen. »Jetzt kannst du zu mir ziehen«, sagte er, »In meine Wohnung in Paris.« Sie hob den Kopf, blickte ihm in die Augen; er konnte ihrem Blick nicht standhalten. »Bist du sicher?« fragte sie leise, »bist du sicher, daß du das willst?« Er antwortete nicht; zumindest antwortete er nicht sogleich. Nach einem halbminütigen Schweigen fügte sie hinzu: »Fühl dich nicht gezwungen. Du hast noch eine Weile zu leben; du bist nicht gezwungen, den Rest deines Lebens damit zu verbringen, dich um einen Krüppel zu kümmern.« Die Elemente des gegenwärtigen Bewußtseins sind unserer Sterblichkeit nicht mehr angemessen. Noch nie, zu keiner Zeit und in keiner anderen Zivilisation hat man so lange und so beständig an sein Alter gedacht; jeder hat eine einfache Zukunftsperspektive im Auge: Es wird einen Zeitpunkt geben, zu dem die Summe der Sinnenfreuden, die man noch vom Leben zu erwarten hat, geringer ist als die Summe der Schmerzen (kurz gesagt, man spürt tief im Inneren, wie sich der Zähler dreht - und der Zähler dreht sich immer in derselben Richtung). Diese rationale Bilanz der

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