Elementarteilchen
körperliche Jugend eindeutig das kostbarste; und wir glauben heute nur an die irdischen Güter. >Ist Christus aber nicht auferstanden (, sagt Paulus ganz offen, )so ist euer Glaube eitel.< Christus ist nicht auferstanden; er hat seinen Kampf gegen den Tod verloren. Ich habe ein Drehbuch für einen Paradiesfilm über das neue Jerusalem geschrieben. Der Film spielt auf einer Insel, die ausschließlich von nackten Frauen und kleinen Hunden bevölkert ist. Im Anschluß an eine biologische Katastrophe sind die Männer sowie fast alle Tierarten vom Erdboden verschwunden. Die Zeit ist stehengeblieben, das Klima ist gleichbleibend sanft; die Bäume tragen das ganze Jahr über Früchte. Die Frauen bleiben ewig jung und frisch, die kleinen Hunde ewig lebhaft und fröhlich. Die Frauen baden und liebkosen sich, die kleinen Hunde spielen und tollen um sie herum. Es gibt Hunde aller Arten, in allen Farben: Pudel, Foxterrier, belgische Zwerg-Griffons, Japanische ChinHündchen, König-Karls-Hündchen, Yorkshire Terrier, Kraushaar-Malteser, Westies und Harrier Beagles. Der einzige große Hund ist ein braver, sanfter Neufundländer, der eine Art Ratgeber für die anderen darstellt. Die einzig verbleibende Spur männlicher Existenz ist eine Videokassette mit ausgewählten Fernsehansprachen von Edouard Balladur; diese Kassette hat eine beruhigende Wirkung auf manche Frauen und auf die meisten Hunde. Außerdem gibt es noch eine Kassette mit der Fernsehsendung Das Leben der Tiere, kommentiert von Claude Darget; sie wird nie gezeigt, aber sie dient als Gedächtnisstütze und als Zeugnis der Barbarei früherer Zeiten.«
»Sie lassen dich also schreiben ...«, sagte Michel sanft. Er wunderte sich nicht darüber. Die meisten Psychiater sehen es gern, wenn ihre Patienten etwas kritzeln. Sie messen dieser Tätigkeit zwar keinerlei therapeutischen Wert bei; aber immerhin sei das eine Beschäftigung, meinen sie, das sei immerhin besser, als sich mit einer Rasierklinge die Pulsadern aufzuschneiden. »Aber es spielen sich auf dieser Insel auch ein paar kleine Dramen ab«, fuhr Bruno mit gerührter Stimme fort. »Eines Tages wagt sich zum Beispiel einer der kleinen Hunde zu weit ins Meer hinaus. Zum Glück merkt seine Herrin, daß er in Schwierigkeiten ist, springt in ein Boot, rudert mit aller Kraft und schafft es gerade noch, ihn rauszufischen. Der arme kleine Hund hat zuviel Wasser geschluckt, er ist ohnmächtig, und man hat fast den Eindruck, er würde bald sterben; aber seiner Herrin gelingt es, ihn durch künstliche Beatmung wiederzubeleben, und alles nimmt ein gutes Ende, der kleine Hund ist wieder munter.« Plötzlich verstummte er. Er wirkte jetzt heiter und fast verzückt. Michel sah auf die Uhr, dann blickte er sich um. Seine Mutter gab keinen Laut mehr von sich. Es war fast zwölf; alles war außerordentlich ruhig. Er stand auf, ging wieder in den großen Raum. Der Silberlocken-Hippie war verschwunden und hatte seine Möhren auf dem Tisch liegen lassen. Er schenkte sich ein Bier ein und ging ans Fenster. Der Blick reichte mehrere Kilometer weit über tannenbewachsene Hügel. Zwischen den verschneiten Gipfeln konnte man in der Ferne die blaue Spiegelung eines Sees erkennen. Die Luft war sanft und voller Düfte; es war ein sehr schöner Frühlingsmorgen.
Er stand schon seit unbestimmter Zeit dort, und seine Aufmerksamkeit schwebte, vom Körper losgelöst, friedlich zwischen den Gipfeln, als er plötzlich durch etwas, das er zunächst für ein Geheul hielt, in die Wirklichkeit zurückgerufen wurde. Er brauchte ein paar Sekunden, ehe er seine auditiven Wahrnehmungsfähigkeiten wiederfand, dann ging er mit schnellen Schritten auf das Schlafzimmer zu. Bruno saß noch immer am Fußende des Bettes und sang aus voller Kehle:
Sie sind gekommen, alle sind sie da,
sobald sie diesen Schreigehört haben,
wird sie sterben, diiiee Maammaaaa...
Unkonsequent; unkonsequent, leichtfertig und albern, so sind die Menschen. Bruno stand auf, um die nächste Strophe noch lauter zu singen:
Sie sind gekommen, alle sind sie da,
aus Süditalien und sogar aus Kanada,
auch Sohn Giorgio, der treulose Geselle,
schwer beladen mit Gaben für alle Fälle…
Durch die Stille, die dieser Gesangsdarbietung folgte, hörte man deutlich eine Fliege, die durch den Raum flog, ehe sie sich auf Janes Gesicht niederließ. Die Zweiflügler zeichnen sich durch das Vorhandensein eines einzigen Hautflügelpaars aus, das auf dem zweiten Thoraxring
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