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Elementarteilchen

Elementarteilchen

Titel: Elementarteilchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Ort zu sterben, nachdem sie fünf Jahre in Goa, im westlichen Teil der indischen Halbinsel, verbracht hatte.
        »Zumindest hat sie beschlossen, hierher zu kommen, auch wenn sie bestimmt nicht beschlossen hat, zu verrecken«, ergänzte Bruno. »Anscheinend ist die alte Sau zum Islam übergetreten - inspiriert durch die sufistische Mystik oder irgend so einen Scheiß. Sie hat sich bei einer Schar von ausgeflippten Typen eingenistet, die in einem verlassenen Haus etwas abseits vom Dorf leben. Nur weil die Zeitungen nichts mehr über die Aussteiger oder die Hippies berichten, glaubt man, es gäbe sie nicht mehr. Dabei werden sie im Gegenteil immer zahlreicher, durch die Arbeitslosigkeit ist ihre Zahl beträchtlich gestiegen, man kann sogar sagen, es wimmelt nur davon. Ich habe mich mal näher damit beschäftigt ...« Er senkte die Stimme. »Der Trick bei der Sache ist, daß sie sich jetzt Öko-Bauern nennen, aber in Wirklichkeit sind das alles faule Säcke, die nur von der Sozialhilfe leben und einen obskuren Zuschuß für Landwirtschaft in strukturschwachen Gebieten kassieren.« Er nickte mit hinterlistiger Miene, leerte sein Glas in einem Zug und bestellte ein weiteres. Er hatte sich mit Michel im Bistro Chez Gilou verabredet, der einzigen Wirtschaft im Ort. Mit den obszönen Ansichtskarten, den eingerahmten Fotos von Forellen und dem Plakat vom »Boule-Klub Saorge« (dessen Vorstand es auf die stolze Zahl von vierzehn Personen brachte), spiegelte das Lokal in exemplarischer Weise ein Klima wider, das die Splitterpartei » Jagd- Fischfang- Natur- Tradition« charakterisierte und das in diametralem Gegensatz zu der Neo-Woodstock-Szene stand, gegen die Bruno gerade so gewettert hatte. Vorsichtig zog er ein Flugblatt aus seiner Kollegmappe, das den Titel SOLIDARITÄT MIT DEN >LA BRIGUE<-SCHAFEN! trug. »Ich habe den Text heute nacht getippt ...«, sagte er leise. »Ich habe gestern abend mit den Schafzüchtern gesprochen. Sie wissen sich einfach nicht mehr zu helfen, sie sind voller Haß, ihre Schafherden sind buchstäblich dezimiert worden. Daran sind die Umweltschützer schuld und der Naturpark des Mercantour. Sie haben hier Wölfe wieder eingeführt, Horden von Wölfen, und die fressen die Schafe! ...« Seine Stimme wurde plötzlich schrill, schlug in Schluchzen um. In der Nachricht, die Bruno Michel hatte zukommen lassen, hatte er ihm mitgeteilt, daß er sich wieder in der psychiatrischen Klinik in Verrières-le-Buisson aufhielt, und zwar »vermutlich für immer«. Anscheinend hatte man ihn zu diesem Anlaß gehen lassen.
        »Unsere Mutter liegt also im Sterben ...«, unterbrach ihn Michel, um auf den eigentlichen Grund ihres Besuchs zurückzukommen.
        »Völlig richtig! Am Cap d'Agde ist es genau dasselbe, da haben sie angeblich die Dünen gesperrt. Der Beschluß ist gefaßt worden, weil die Schutzgemeinschaft für die Küstenzone, die ganz in den Händen der Umweltschützer ist, starken Druck ausgeübt hat. Die Leute haben nichts Böses getan, sie haben sich nur ganz friedlich mit Gruppensex vergnügt; aber das stört angeblich die Seeschwalben. Die Seeschwalbe, das ist so eine Spatzenart. Zum Henker mit den Spatzen!« sagte Bruno erregt. »Sie wol- len uns daran hindern, Gruppensex zu machen und Schafskäse zu essen, das sind richtige Nazis. Und die Sozialisten stecken mit ihnen unter einer Decke. Sie sind gegen die Schafe, weil Schafe Rechte sind, die Wölfe dagegen Linke; dabei ähneln die Wölfe den Deutschen Schäferhunden, und die sind rechtsradikal. Wem soll man da noch trauen?« Er schüttelte düster den Kopf
        »In welchem Hotel warst du in Nizza?« fragte er plötzlich.
        »Im Windsor.«
    »Warum denn im Windsor?« Bruno regte sich von neuem auf »Legst du jetzt etwa Wert auf Luxus? Was ist denn mit dir los? Ich persönlich (er artikulierte seine Sätze mit zunehmender Energie) bleibe den Mercure-Hotels treu! Hast du dich denn wenigstens erkundigt? Wußtest du, daß das Mercure-Hotel Baie des Anges je nach Saison ein degressives Tarifsystem praktiziert? in der Vor- oder Nachsaison kostet das Zimmer nur 330 Franc! Der Preis eines Zwei-Sterne-Hotels! Mit dem Komfort eines Drei-Sterne-Hotels, mit Blick auf die Strandpromenade und einem 24-Stunden-Zimmerservice!« Bruno schrie jetzt fast. Trotz des etwas überspannten Verhaltens seines Gastes hörte der Wirt des Bistros Chez Gilou (Hieß er tatsächlich Gilou? Wahrscheinlich!) aufmerksam zu. Diskussionen über Geld und das

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