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Elementarteilchen

Elementarteilchen

Titel: Elementarteilchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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angebracht ist, und einem Paar Schwingkölbchen (das zur Herstellung des Gleichgewichts beim Flug dient) auf dem dritten Thoraxring sowie durch Mundwerkzeuge mit Stech- oder Saugvorrichtung. In dem Augenblick, als sich die Fliege auf die Oberfläche des Auges vorwagte, ahnte Michel etwas. Er ging auf Jane zu, ohne sie jedoch zu berühren. »Ich glaube, sie ist tot«, sagte er, nachdem er sie einige Zeit beobachtet hatte.
        Der Arzt bestätigte ohne Schwierigkeiten diese Diagnose. Er wurde von einem Angestellten der Gemeindeverwaltung begleitet, und da begannen die Probleme. Wohin solle der Leichnam überführt werden? Ein Familiengrab vielleicht? Michel hatte nicht die leiseste Ahnung, er war erschöpft und verwirrt. Wenn sie es verstanden hätten, familiäre Beziehungen voller Wärme und Zuneigung zu entwickeln, dann wäre es nicht dazu gekommen, daß sie sich vor dem Angestellten der Gemeindeverwaltung, der sich im übrigen durchaus korrekt verhielt, lächerlich machten. Bruno hielt sich aus der Sache völlig heraus; er saß ein wenig abseits und spielte eine Partie Tetris auf seinem Game-Boy. »Also ...«, sagte der Angestellte weiter, »wir können Ihnen eine Gruft auf dem Friedhof von Saorge anbieten. Das ist zwar ein bißchen weit weg, wenn Sie das Grab besuchen wollen, vor allem, wenn Sie nicht von hier sind; aber im Hinblick auf den Transport ist das natürlich die praktischste Lösung. Die Beerdigung könnte noch heute nachmittag stattfinden, im Augenblick sind wir nicht allzu überfordert. Ich nehme an, daß es mit dem Totenschein keine Probleme gibt ...« »Kein Problem!« rief der Arzt mit etwas übertriebener Wärme. »Ich habe die Formulare mitgebracht ...« Mit fröhlichem Lächeln hielt er einen Stapel Papiere hoch. »Geil! Ich hab's geschafft ...«, sagte Bruno halblaut. Tatsächlich ließ sein Game-Boy eine fröhliche Musik erklingen. »Monsieur Clément, sind auch Sie mit der Beisetzung einverstanden?« fragte der Angestellte etwas lauter. »Absolut nicht!« Bruno richtete sich mit einem Satz auf. »Meine Mutter wollte eingeäschert werden, sie hat äußerst großen Wert darauf gelegt!« Das Gesicht des Angestellten verfinsterte sich. Die Gemeinde Saorge sei für Feuerbestattungen nicht ausgerüstet; das erfordere eine ganz spezielle Vorrichtung, die sich aufgrund der geringen Nachfrage für sie nicht lohne. Nein, wirklich, das mache die Sache sehr schwierig. »Aber das ist der letzte Wille meiner Mutter ...«, sagte Bruno mit großem Nachdruck. Es wurde still. Der Angestellte überlegte sehr schnell. »In Nizza gibt es wohl ein Krematorium ...«, sagte er schüchtern. »Man könnte einen Hin- und Rücktransport ins Auge fassen, wenn Sie immer noch damit einverstanden sind, daß sie in unserer Gemeinde beerdigt wird. Die Kosten dafür müßten Sie dann allerdings tragen ...« Niemand erwiderte etwas. »Ich rufe dort mal an ...«, fuhr er fort, »Ich muß erst mal die Zeiten für eine Feuerbestattung herausfinden.« Er blätterte in seinem Telefonverzeichnis, holte ein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer, als Bruno erneut eingriff. »Lassen wir das ...«, sagte er mit einer weiten Handbewegung. »Wir beerdigen sie hier. Wir pfeifen auf ihren letzten Willen. Du bezahlst!« sagte er gebieterisch zu Michel. Ohne Widerrede zog dieser sein Scheckheft hervor und erkundigte sich nach dem Preis für eine Grabstätte für dreißig Jahre. »Da haben Sie eine gute Wahl getroffen«, bestätigte der Gemeindeangestellte. »Mit einer Grabstätte für dreißig Jahre hat man Zeit genug, die Dinge auf sich zukommen zu lassen.«

        Der Friedhof lag etwa hundert Meter oberhalb des Dorfes. Zwei Männer in blauer Arbeitskleidung trugen den Sarg. Sie hatten das einfachste Modell aus hellem Fichtenholz genommen, eines der Modelle aus dem Sarglager der Gemeinde; der Bestattungsdienst in Saorge schien außerordentlich gut organisiert zu sein. Er war Spätnachmittag, aber die Sonne war noch warm. Bruno und Michel gingen nebeneinander her, zwei Schritte hinter den Männern; der Silberlocken-Hippie war an ihrer Seite, er hatte darauf bestanden, Jane zu ihrer letzten Ruhestätte zu begleiten. Der Weg war steinig, ausgedörrt, all das mußte wohl einen Sinn haben. Ein Raubvogel - vermutlich ein Bussard - kreiste langsam in nicht allzu großer Höhe am Himmel. »Hier gibt's bestimmt Schlangen ...«, folgerte Bruno. Er hob einen weißen, sehr scharfkantigen Stein auf. Gerade als sie in den Weg zum Friedhof

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