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Elementarteilchen

Elementarteilchen

Titel: Elementarteilchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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nachdenklich. Sein Blick ging einen Augenblick zwischen den Tischen her und kehrte dann wieder zu seinem Glas zurück.
    »Ich erinnere mich noch an einen Jungen, den ich in der zwölften Klasse kennengelernt habe, als ich sechzehn war. Er war sehr hintergründig und schwierig. Er kam aus einer reichen, ziemlich traditionsbewußten Familie und teilte im übrigen völlig die Wertvorstellungen seines Milieus. Eines Tages hat er im Laufe einer Diskussion zu mir gesagt: >Der Wert einer Religion wird durch die Qualität der Moral bestimmt, die sie zu begründen vermag.< Ich bin vor Überraschung und Bewunderung stumm geblieben. Ich habe nie erfahren, ob er selbst zu dieser Schlußfolgerung gekommen war oder ob er diese These einem Buch entnommen hatte; auf jeden Fall hat mich der Satz außerordentlich beeindruckt. Seit vierzig Jahren denke ich darüber nach; heute glaube ich, daß er sich geirrt hat. Es scheint mir unmöglich zu sein, sich auf dem Gebiet der Religion ausschließlich auf einen moralischen Standpunkt zu stellen; und doch hat Kant recht, wenn er behauptet, daß selbst der Retter der Menschheit nach den universalen Kriterien der Ethik beurteilt werden muß. Aber ich bin zu der Überzeugung gekommen, daß die Religionen vor allem Versuche sind, die Welt zu erklären; und kein Versuch, die Welt zu erklären, ist von Bestand, wenn er gegen unser Bedürfnis nach rationaler Gewißheit verstößt. Der mathematische Beweis und die induktive Methode sind endgültige Errungenschaften des menschlichen Bewußtseins. Ich weiß, daß die Tatsachen mich zu widerlegen scheinen, ich weiß auch, daß der Islam - der alle anderen Religionen an Dummheit, Falschheit und Obskurantismus bei weitem übertrifft - heutzutage offensichtlich an Boden gewinnt; aber das ist nur ein vorübergehendes, oberflächliches Phänomen: Auf lange Sicht gesehen ist der Islam zum Scheitern verurteilt, und zwar mit noch größerer Sicherheit als das Christentum.«

    Djerzinski hob den Kopf; er hatte sehr aufmerksam zugehört. Er hätte nie vermutet, daß sich Desplechin für solche Fragen interessierte; dieser zögerte und fuhr dann fort: »Ich habe Philippe nach dem Abitur aus den Augen verloren, aber ich habe erfahren, daß er ein paar Jahre später Selbstmord begangen hat. Doch ich glaube nicht, daß es etwas damit zu tun hatte: Homosexuell, integristischer Katholik und Royalist zugleich zu sein, das ist wohl eine Mischung, die das Leben nicht gerade erleichtert.« Djerzinski hatte sich im Grunde nie wirklich mit religiösen Fragen beschäftigt, wie ihm in diesem Augenblick klar wurde. Doch wußte er, und zwar seit langem, daß die materialistische Metaphysik, nachdem sie die religiösen Lehren der vorausgehenden Jahrhunderte zerstört hatte, selbst von den jüngsten Ergebnissen der Physik vernichtet worden war. Es war erstaunlich, daß diese Tatsache weder bei ihm selbst noch bei irgendeinem der Physiker, die er kannte, jemals einen Zweifel oder eine spirituelle Infragestellung hervorgerufen hatte.
        »Ich persönlich«, sagte er im Augenblick, da er sich dessen bewußt wurde, »habe mich immer an den pragmatischen Positivismus gehalten, der unter den Forschern allgemein verbreitet ist. Die Sachverhalte existieren, sie sind durch Gesetze miteinander verknüpft, der Begriff der Ursache hat keinen wissenschaftlichen Wert. Die Welt entspricht der Summe der Kenntnisse, die wir über sie besitzen.«
        »Ich bin kein Forscher mehr ...«, erwiderte Desplechin mit entwaffnender Einfachheit. »Deshalb beschäftige ich mich vermutlich in vorgerücktem Alter mit metaphysischen Fragen. Aber Sie haben natürlich recht. Man muß weiterforschen, neue Versuche anstellen, neue Gesetze entdecken, alles andere ist völlig unwichtig. Denken Sie daran, was Pascal geschrieben hat: >Man muß im großen und ganzen sagen: Das geschieht durch Ge stalt und Bewegung. Denn das ist wahr, doch zu sagen, welcher Gestalt und Bewegung, und die Maschine zusammenzusetzen, das ist lächerlich. Denn das ist nutzlos und unsicher und mühselig.< Selbstverständlich hat auch da wieder einmal Pascal recht, und nicht Descartes. Ach, übrigens ... haben Sie sich entschieden, was Sie machen wollen? ich meine ... (er entschuldigte sich mit einer Handbewegung) wegen dieser blöden Frist.«
        »Ja. Ich bräuchte eine Stelle am Institut für genetische Forschung von Galway in Irland. Ich muß schnell eine einfache Versuchsreihe aufbauen können, und zwar unter möglichst

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