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Elementarteilchen

Elementarteilchen

Titel: Elementarteilchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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genauen Temperatur- und Druckverhältnissen und mit einer großen Auswahl radioaktiver Marker. Vor allem brauche ich große Rechnerkapazitäten - ich meine mich zu erinnern, daß sie dort zwei Cray-Parallelrechner haben.«
        »Wollen Sie mit Ihren Forschungen in eine neue Richtung gehen?« Desplechins Stimme verriet eine Spur von Erregung; er merkte es, und wieder spielte ein kleines, selbstironisches Lächeln um seine Lippen. »Der Wissensdrang ...«, sagte er mit leiser Stimme.
        »Meiner Ansicht nach ist es ein Irrtum, nur mit natürlicher DNA zu arbeiten. Die DNA ist ein komplexes Molekül, das sich mehr oder weniger durch Zufall weiterentwickelt: Es gibt völlig unberechtigte Redundanzen, lange, nicht kodierende Sequenzen, man kann da alles mögliche finden. Wenn man wirklich die Mutationsbedingungen ganz allgemein testen will, muß man von einfacheren, selbstreproduzierfähigen Molekülen ausgehen, mit höchstens ein paar hundert Bindungen.«
        Desplechin nickte mit glänzenden Augen und versuchte nicht mehr, seine Erregung zu verbergen. Die italienischen Touristen waren inzwischen gegangen; außer ihnen war niemand im Café.
        »Das wird sicher ziemlich lange dauern«, fuhr Michel fort, »denn auf den ersten Blick unterscheiden sich mutationsfähige Konfigurationen absolut nicht von den anderen. Aber es muß auf subatomarer Ebene strukturelle Stabilitätsbedingungen geben. Wenn man es schafft, eine stabile Konfiguration zu berechnen, sogar nur für ein paar hundert Atome, dann ist es nur noch eine Frage der Rechnerkapazität ... Aber vielleicht bin ich da etwas voreilig.«
        »Nicht unbedingt ...« Desplechin sprach jetzt mit der langsamen, verträumten Stimme eines Mannes, der Perspektiven in unendlicher Ferne erahnt, unbekannte, schemenhafte geistige Gebilde.
        »Ich müßte völlig unabhängig arbeiten können, ohne mich um die Hierarchie des Instituts kümmern zu müssen. Es gibt ein paar Dinge, die bisher noch reine Hypothesen sind: sie zu erklären, wäre zu langwierig und zu kompliziert.«
    »Selbstverständlich. Ich schreibe sofort an Walcott, der das Institut leitet. Er ist ein prima Kerl, der läßt Ihnen völlige Freiheit. Außerdem haben Sie schon mit den Leuten zusammengearbeitet, wenn ich mich nicht irre. Irgend etwas mit Kühen ...«
    »Ja, eine ganz kleine Sache.«
    »Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde zwar pensioniert ... (diesmal lag in seinem Lächeln ein wenig Bitterkeit), aber ich habe noch genug Einfluß, um das zu erreichen. Verwaltungstechnisch gesehen handelt es sich um eine einfache Freistellung, die Jahr für Jahr verlängert werden kann, so lange Sie wollen. Diese Maßnahme kann unter keinen Umständen aufgehoben werden, wer auch immer mein Nachfolger sein wird.« Sie trennten sich kurz darauf auf der Höhe des Pont Royal. Desplechin streckte ihm die Hand entgegen. Er hatte keine Söhne, seine sexuellen Präferenzen hatten es unmöglich gemacht, den Gedanken einer Scheinehe hatte er immer für lächerlich gehalten. Mehrere Sekunden lang, während er ihm die Hand schüttelte, sagte er sich, daß das, was er gerade erlebt hatte, einer höheren Ordnung zuzurechnen sei; dann sagte er sich, daß er furchtbar müde war; dann drehte er sich um und ging am Seineufer an den Ständen der Bouquinisten entlang. Eine oder zwei Minuten lang blickte Djerzinski hinter diesem Mann her, der sich im schwächer werdenden Licht entfernte.

    2

    Am nächsten Tag aß er bei Annabelle zu Abend und erklärte ihr ohne Umschweife auf logische, präzise Art, warum er nach Irland gehen müsse. Das Programm, das ihn erwartete, war jetzt genau abgesteckt, alles fügte sich nahtlos ineinander. Vor allem durfte er sich nicht nur auf die DNA konzentrieren, sondern mußte Lebewesen ganz allgemein als selbstreproduzierfähige Systeme betrachten.
    Anfangs erwiderte Annabelle nichts; sie konnte es nicht verhindern, daß sich ihr Mund leicht verzog. Dann schenkte sie ihm Wein nach; sie hatte an jenem Abend Fisch gekocht, und ihr kleines Appartement erinnerte mehr denn je an eine Schiffskabine.
    »Du hast nicht vor, mich mitzunehmen ...« ihre Worte hallten durch die Stille; die Stille zog sich in die Länge. »Du hast nicht einmal daran gedacht ...«, sagte sie mit einer Mischung aus kindlicher Enttäuschung und Überraschung; dann schluchzte sie auf. Er rührte sich nicht; wenn er sie in diesem Augenblick berührt hätte, hätte sie ihn sicher zurückgestoßen; es ist

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