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Elementarteilchen

Elementarteilchen

Titel: Elementarteilchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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waren fünfundzwanzig Jahre zuvor nach der Schule oft auf dieser Allee spazierengegangen. Etwa fünfzehn Personen hatten sich im Garten des Einfamilienhauses ihrer Mutter versammelt. Ihr älterer Bruder war zu diesem Anlaß aus den USA gekommen; er war mager, nervös, sichtlich gestreßt und etwas zu elegant gekleidet.
        Annabelle hatte darum gebeten, daß ihre Asche im Garten des Hauses ihrer Eltern verstreut werden solle; auch das wurde getan. Die Sonne sank allmählich wieder tiefer. Die Asche war wie Staub - fast weißer Staub. Sie legte sich sanft wie ein Schleier zwischen den Rosensträuchern auf die Erde. In diesem Augenblick hörte man in der Ferne das Läuten des Bahnübergangs. Michel erinnerte sich an die Nachmittage, als er fünfzehn war und Annabelle ihn am Bahnhof erwartet und in die Arme genommen hatte. Er betrachtete die Erde, die Sonne, die Rosen; die geschmeidige Oberfläche des Grases. Es war unverständlich. Die Anwesenden schwiegen; Annabelles Mutter schenkte einen Wein aus. Sie hielt ihm ein Glas hin und blickte ihm in die Augen. »Wenn Sie wollen, können Sie ein paar Tage hierbleiben, Michel«, sagte sie mit leiser Stimme. Nein, er werde abreisen; er werde arbeiten. Für alles andere sei er ungeeignet. Er hatte den Eindruck, als sei der Himmel von Streifen durchzogen, er merkte, daß er weinte.

    5

    Als sich das Flugzeug der Wolkendecke näherte, die sich bis ins Endlose unter dem unantastbaren Himmel dahinzog, hatte er den Eindruck, daß sein ganzes Leben nur auf diesen Augenblick hingeführt hatte. Ein paar Sekunden lang sah er noch die riesige azurfarbene Kuppel und eine endlose gewellte Ebene, in der strahlendweiße und mattweiße Flächen einander ablösten; dann gelangten sie in eine graue, sich bewegende Zwischenzone, die sich nur verschwommen wahrnehmen ließ. Unter ihnen, in der Welt der Menschen, waren Weiden, Tiere und Bäume; alles war grün, feucht und unglaublich kleinteilig.

    Walcott wartete am Flughafen Shannon auf ihn. Ein Mann von untersetzter Statur und mit lebhaften Gesten; er hatte einen fast kahlen Schädel mit einem Kranz aus rotblondem Haar. Er fuhr mit seinem Toyota Starlet mit hohem Tempo durch die dunstigen Weiden, über die Hügel. Das Institut befand sich ein wenig nördlich von Galway auf dem Gelände der Gemeinde Rosscahill. Walcott führte ihn durch die Gebäude und stellte ihm die Techniker vor; sie würden ihm zur Verfügung stehen, um die Versuche durchzuführen und die Berechnung der molekularen Konfigurationen zu programmieren. Die gesamte Ausrüstung war ultramodern, die Räume makellos sauber - das Ganze war mit Mitteln der EU finanziert. In einem gekühlten Raum warf Djerzinski einen Blick auf die beiden turmförmigen großen Cray-Rechner, deren Schalttafeln im Halbdunkel leuchteten. Ihre Millionen von Prozessoren mit massiver Parallelbauweise warteten nur darauf, die Lagrange-Gleichungen, die Wel- lenfunktionen, die Spektralzerlegungen und die hermiteschen Operatoren zu verarbeiten; in dieser Umgebung sollte sich sein Leben von nun an abspielen. Doch obwohl er die Arme vor der Brust verschränkte und an seinen Körper preßte, konnte er sich nicht des Eindrucks von Traurigkeit und innerer Kälte erwehren. Walcott bot ihm eine Tasse Kaffee aus dem Automaten an. Durch die breiten Glaswände sah man auf leuchtend grüne Hänge, die sich bis ans dunkle Wasser des Lough Corrib hinabzogen.

    Als sie die Straße nach Rosscahill hinunterfuhren, kamen sie an einer sanft abfallenden Weide vorbei, auf der eine Herde schöner hellbrauner Kühe graste, sie waren verhältnismäßig klein. »Erkennen Sie sie wieder?« fragte Walcott lächelnd. »Ja ... das sind die Nachkömmlinge der ersten Kühe, die nun schon vor zehn Jahren aufgrund Ihrer Arbeiten gezüchtet worden sind. Damals war unser Institut noch ganz klein und schlecht ausgerüstet, Sie haben uns einen großen Dienst damit erwiesen. Sie sind widerstandsfähig, vermehren sich ohne Probleme und geben ausgezeichnete Milch. Wollen Sie sie aus der Nähe sehen?« Er stellte seinen Wagen auf einem Hohlweg ab. Djerzinski ging auf die kleine Steinmauer zu, die die Weide umgab. Die Kühe grasten ruhig, rieben ihre Köpfe an den Flanken ihrer Gefährtinnen; zwei oder drei von ihnen lagen im Gras. Er hatte den genetischen Code, der die Replikation ihrer Zellen steuerte, entwickelt oder zumindest verbessert. Für sie müßte er eigentlich ein Gott sein; und dennoch ließ sie seine Anwesenheit anscheinend

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