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Elementarteilchen

Elementarteilchen

Titel: Elementarteilchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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mehr zu schwimmen. Durch die vergitterten Fenster des Klassenzimmers betrachtete er die Wolken, die Bäume auf dem Schulhof und die anderen Schüler; kein menschliches Geschehnis schien ihn mehr wirklich berühren zu können.
        Bruno dagegen hatte beschlossen, sich in einer philosophischen Fakultät einzuschreiben: Er hatte allmählich die Nase voll von den Reihenentwicklungen von Taylor und Maclaurin, und vor allem gab es an der philosophischen Fakultät Mädchen, viele Mädchen. Sein Vater hatte nichts dagegen einzuwenden. Wie alle alten Lebemänner wurde er mit zunehmendem Alter sentimental und machte sich bittere Vorwürfe, mit seinem Egoismus das Leben seines Sohns verpfuscht zu haben; das war im übrigen nicht ganz falsch. Anfang Mai trennte er sich von Julie, seiner letzten Geliebten, obwohl sie eine hinreißende Frau war; sie hieß Julie Lamour, aber ihr Künstlername war Julia Love. Sie hatte in den ersten Pornos à la f rançaise mitgespielt, den heutzutage vergessenen Filmen von Burd Tranbaree oder Francis Leroi. Sie hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Janine, war aber viel bescheuerter. »Das ist mein Untergang ... Das ist mein Untergang ...«, wiederholte Brunos Vater unentwegt, als ihm ein Jugendfoto seiner Exfrau in die Hände fiel und er die Ähnlichkeit feststellte. Während eines Abendessens bei Bénazéraf hatte seine Geliebte Gilles Deleuze kennengelernt, und seitdem verstieg sie sich regelmäßig in intellektuelle Rechtfertigungen des Pornos, es wurde unerträglich. Außerdem kostete sie ihn viel Geld, denn sie hatte sich bei den Dreharbeiten an gemietete Rolls Royce, Pelzmäntel und all den erotischen Flitterkram gewöhnt, der ihm mit fortschreitendem Alter immer mehr auf die Nerven ging. Ende 1974 mußte er sein Haus in Sainte-Maxime verkaufen. Ein paar Monate später kaufte er seinem Sohn ein Appartement in der Nähe des Jardin de 1'Observatoire: ein sehr schönes helles, ruhiges Appartement ohne Gegenüber. Als er es Bruno zeigte, hatte er keineswegs den Eindruck, ihm ein außergewöhnliches Geschenk zu machen, es handelte sich eher um den Versuch, so gut es ging, etwas wiedergutzumachen; außerdem war die Sache offensichtlich ein gutes Geschäft. Als er den Blick durch den Raum schweifen ließ, wurde er jedoch etwas lebhafter. »Hier kannst du Mädchen einladen!« gab er unbedachterweise von sich. Als er das Gesicht seines Sohnes sah, bereute er es augenblicklich.
        Michel schrieb sich schließlich an der Universität Orsay in den Fachbereichen Mathematik und Physik ein; vor allem hatte es ihm gefallen, daß die Studentenwohnheime ganz in der Nähe waren: Das war seine Art der Entscheidungsfindung. Wie erwartet bestanden beide das Abitur. Annabelle begleitete sie an dem Tag, an dem die Ergebnisse bekanntgegeben wurden, ihr Gesicht war ernst, innerhalb eines Jahres war sie sehr gereift. Sie war etwas schlanker geworden, das Lächeln mehr nach innen gewandt, und zu allem Unglück war sie noch hübscher geworden. Bruno beschloß, die Initiative zu ergreifen: Das Ferienhaus in Sainte-Maxime gab es nicht mehr, aber er konnte auf das Landgut von di Meola fahren, wie seine Mutter es ihm vorgeschlagen hatte; er schlug den beiden vor, ihn zu begleiten. Einen Monat später, gegen Ende Juli, fuhren sie los.

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    DER SOMMER 1975

    »Si e denken nicht daran, daß sie sich kehren zu ihrem Gott,
    denn sie haben einen Hurengeist in ihrem Herzen, und den Herrn kennen sie nicht.«

    (Hosea: Verse 5,4 )

    Der Mann, der sie an der Haltestelle des Busses aus Carpentras empfing, war geschwächt und krank. Francesco di Meola, Sohn eines italienischen Anarchisten, der in den 20er Jahren in die USA ausgewandert war, hatte es in seinem Leben zu etwas gebracht, fi nanziell gesehen, versteht sich. Wie Serge Clément hatte der junge Italiener gegen Ende des Zweiten Weltkriegs begriffen, daß nun eine völlig neue Epoche begann und gewisse Tätigkeiten, die lange als elitär oder marginal angesehen worden waren, erheblich an wirtschaftlicher Bedeutung gewinnen würden. Während Brunos Vater sein Geld in die Schönheitschirurgie investiert hatte, hatte di Meola sein Glück in der Schallplattenproduktion versucht; manche verdienten in dieser Branche viel mehr als er, das stimmt zwar, aber es gelang ihm immerhin, sich ein großes Stück des Kuchens zu sichern. Mit Anfang Vierzig ahnte er wie viele Kalifornier, daß eine neue Welle aufkam, die viel mehr war als eine bloße Modeerscheinung und die die

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