Elementarteilchen
gleichen Augenblick stürmten zwei Jungen mit übertrieben lautem Gelächter von rechts herbei; sie trugen schwarze, mit Neonstreifen besetzte Shorts. Brunos Schwanz schlaffte augenblicklich ab, er schob ihn wieder in die Unterhose und konzentrierte sich auf seine Zahnpflege.
Er stand immer noch unter dem Schock der Begegnung, als er einige Zeit später zu den Frühstückstischen hinabging. Er setzte sich etwas abseits und sprach mit niemandem; während er auf den mit Vitaminen angereicherten Körnern kaute, sann er über den sadistischen Charakter der sexuellen Partnersuche nach, über ihren faustischen Aspekt. Es ist völlig falsch, dachte Bruno zum Beispiel, daß man von Homosexuellen spricht. Er selbst war nie oder praktisch nie einem Homosexuellen begegnet; dagegen kannte er zahlreiche Pä derasten. Manche Päderasten - wenn auch zum Glück nicht sehr viele - haben eine Vorliebe für kleine Jungen; diese Päderasten landen im Gefängnis, mit langen Gefängnisstrafen, ohne die Möglichkeit der vorzeitigen Strafaussetzung, und das war's dann. Die meisten von ihnen haben jedoch eine Vorliebe für junge Männer zwischen fünfzehn und fünfundzwanzig; jenseits dieser Altersgrenze gibt es für sie nur noch alte, schlappe Ärsche. Seht euch doch mal an, wie zwei alte Schwule miteinander umgehen, sagte Bruno gern, seht sie euch genau an: Manchmal besteht zwischen ihnen eine gegenseitige Sympathie oder gar Zuneigung; aber begehren sie sich noch? Keinesfalls. Sobald ein kleiner praller Arsch von fünfzehn bis fünfundzwanzig vorbeikommt, zerfleischen sie sich wie zwei alte Hyänen neben einem Kadaver, sie zerfleischen sich, um diesen kleinen prallen Arsch zu bekommen; das waren die Gedanken, die Bruno durch den Kopf gingen.
Wie in vielen anderen Bereichen hatten die sogenannten Homosexuellen für den Rest der Gesellschaft eine Vorkämpferrolle eingenommen, dachte Bruno weiter. Er selbst zum Beispiel war zweiundvierzig; begehrte er etwa Frauen seines Alters? Absolut nicht. Für eine kleine, in einen Minirock gehüllte Möse jedoch war er noch bereit, bis ans Ende der Welt zu reisen. Wenigstens bis nach Bangkok jedenfalls. Immerhin ein dreizehnstündiger Flug.
3
Die sexuelle Begierde hat im wesentlichen junge Körper zum Objekt, und die progressive Verlagerung auf die Zielgruppe sehr junger Mädchen war im Grunde nur eine Rückkehr zur Normalität, zum wahren Objekt der Begierde, vergleichbar etwa der Rückkehr zu einem normalen Preisniveau, die auf eine anormale Überhitzung der Börse folgt. Dennoch befanden sich die Frauen, die zur Zeit der »Achtundsechziger« um die Zwanzig waren, zwei Jahrzehnte später, mit Anfang Vierzig, in einer schwierigen Situation. Sie waren im allgemeinen geschieden und konnten kaum auf die - herzliche oder verachtenswerte - Zweisamkeit der Ehe zählen, deren Abschaffung sie mit allen Mitteln zu beschleunigen versucht hatten. Sie gehörten einer Generation an, die - zum erstenmal in solchem Ausmaß - die Überlegenheit der Jugend über das reife Alter proklamiert hatte, und durften sich daher kaum wundern, ihrerseits von der Generation, die dazu bestimmt war, sie zu ersetzen, verachtet zu werden. Und der Körperkult schließlich, zu dessen Entfaltung sie maßgeblich beigetragen hatten, konnte sie, je mehr ihr Fleisch erschlaffte, nur dazu bringen, einen zunehmenden Ekel vor sich selbst zu empfinden - einen Ekel, der im übrigen jenem entsprach, den sie in den Augen der anderen lesen konnten.
Die Männer in ihrem Alter befanden sich im wesentlichen in der gleichen Situation; doch dieses gemeinsame Schicksal sollte keinerlei Solidarität zwischen diesen Wesen hervorbringen: mit Anfang Vierzig waren die Männer in ihrer überwältigenden Mehrheit weiterhin auf der Suche nach jungen Frauen – und manchmal durchaus mit gewissem Erfolg, zumindest jene, die die gesellschaftlichen Spielregeln geschickt zu nutzen wußten und eine gewisse Position im intellektuellen Bereich, in der Finanz- oder der Medienwelt erlangt hatten; für die Frauen waren in fast allen Fällen die Jahre der Reife eine Zeit des Versagens, der Masturbation und der Schmach.
Als idealer Ort für das Ausleben sexueller Freiheit und sinnlicher Begierde sollte der ORT DER WANDLUNG natürlich mehr als jeder andere zum Schauplatz so mancher Depression und Verbitterung werden. Vorbei mit den auf der Lichtung im Schein des Vollmonds eng umschlungenen menschlichen Gliedmaßen! Vorbei mit der geradezu dionysischen
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