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Elementarteilchen

Elementarteilchen

Titel: Elementarteilchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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genommen hatte, war offensichtlich zu reichlich gewesen. Er hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen; dabei konnte die Platzwahl, das wurde ihm schnell bewußt, ein entscheidendes Element für den Erfolg seines Aufenthalts darstellen.
        Während er noch darüber nachdachte, entdeckte er eine Wäscheleine, die zwischen zwei Bäumen gespannt war. Mehrere Höschen, die sich in der sanften abendlichen Brise bewegten, waren dort zum Trocknen aufgehängt. Das war vielleicht eine Idee, sagte er sich; seine Nachbarn lernt man kennen auf einem Campingplatz; nicht unbedingt, um zu vögeln, aber man lernt jemanden kennen, das ist ein möglicher erster Schritt. Er legte sein Zelt auf den Boden und begann die Anleitung für den Aufbau zu studieren. Die französische Übersetzung war jämmerlich, die englische kaum besser; mit den anderen europäischen Sprachen dürfte es ähnlich sein. Scheißchinesen. Was sollte denn bloß »umdrehen Sie die Halbstarren, um die Kuppel zu konkretisieren« bedeuten?
        Er starrte mit zunehmender Verzweiflung auf die Abbildungen, als zu seiner Rechten eine Art Squaw in einem Ledermini und mit großen, im Abendlicht baumelnden Brüsten auftauchte. »Bist du gerade angekommen?« sagte die Erscheinung, »brauchst du Hilfe, um dein Zelt aufzubauen?« »Ach, das geht schon ...«, erwiderte er mit erstickter Stimme, »das geht schon, danke. Aber das ist nett ...«, flüsterte er noch. Er witterte eine Falle. Tatsächlich drang wenige Sekunden später lautes Geschrei aus dem benachbarten Wigwam (wo hatten sie bloß das Ding gekauft, oder hatten sie es etwa selbst hergestellt?). Die Squaw stürzte los und kam mit zwei winzigen Blagen wieder, eine auf jeder Hüfte, die sie träge zu schaukeln begann. Das Geschrei steigerte sich. Das zu der Squaw gehörige männliche Exemplar trippelte herbei, den Schwanz im Wind. Es war ein ziemlich kräftiger bärtiger Kerl um die Fünfzig mit langem grauen Haar. Er nahm eines der beiden kleinen Äffchen in die Arme und begann es zu betätscheln; es war widerlich. Bruno entfernte sich ein paar Meter; das war gerade noch mal gut gegangen. Mit solchen Monstern in der Nähe hätte er kein Auge zutun können. Sie stillte, diese dumme Kuh, das war eindeutig; aber trotzdem schöne Brüste.
        Bruno ging in schrägem Winkel ein paar Meter weiter, entfernte sich auf leisen Sohlen von dem Wigwam; doch er wollte in der Nähe der Höschen bleiben. Das waren ganz zarte Stücke, durchsichtig und ganz aus Spitze; er konnte sich nicht vorstellen, daß sie der Squaw gehören sollten. Er entdeckte einen Platz zwischen zwei Kanadierinnen (Cousinen? Schwestern? Schulfreundinnen?) und machte sich an die Arbeit.

        Als er fertig war, brach schon die Dunkelheit an. Im Halbdunkel ging er hinunter, um seine Koffer zu holen. Er begegnete mehreren Leuten auf dem Weg: Paaren, Einzelpersonen, ziemlich vielen alleinstehenden Frauen um die Vierzig. In regelmäßigen Abständen waren Schilder mit der Aufschrift »GEGENSEITIGER RESPEKT« an die Bäume genagelt; er ging näher an eines heran. Eine Schale unter dem Schild war randvoll mit Kondomen gefüllt, die das französische Gütesiegel trugen. Darunter stand ein Abfalleimer aus weißem Plastik. Er trat auf das Pedal, um den Deckel zu öffnen, leuchtete mit der Taschenlampe hinein: Es waren vor allem Bierdosen darin, aber auch ein paar gebrauchte Kondome. Das ist beruhigend, sagte sich Bruno; hier tut sich offensichtlich was.
        Der Rückweg war anstrengend; seine Koffer schnitten ihm in die Hände ein, er war außer Atem; er mußte auf halber Höhe haltmachen. Ein paar Leute gingen über den Campingplatz, die Lichtkegel ihrer Taschenlampen kreuzten sich in der Dunkelheit. Weiter hinten war die Küstenstraße, es herrschte noch starker Verkehr; im Dynasty, an der Straße nach Saint-Clément, fand ein t opless -Abend statt, aber er war zu müde, um dorthin oder wohin auch immer zu gehen. Bruno rührte sich etwa eine halbe Stunde nicht von der Stelle. Ich betrachte die Scheinwerfer durch die Bäume hindurch, sagte er zu sich; das ist mein Leben.
        Als er wieder in seinem Zelt war, schenkte er sich einen Whisky ein, blätterte im Swing Magazin mit dem Titel »Das Recht auf Lust« und wichste dabei ohne Hast; er hatte das letzte Heft auf einer Raststätte in der Nähe von Angers gekauft. Er hatte nicht wirklich die Absicht, auf die verschiedenen Annoncen zu antworten; er fühlte sich nicht genügend in Form für

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