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Elementarteilchen

Elementarteilchen

Titel: Elementarteilchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Aber ganz allgemein gesehen, schienen sie ein angenehmes, aktives Leben zu führen, das von den unterschiedlichsten Ereignissen begleitet war. Sie hatten zahlreiche Partner, vergnügten sich mit Arschficks in dark rooms. Manchmal verrutschten oder platzten die Kondome. Dann starben sie an Aids; aber selbst ihr Tod hatte noch einen kämpferischen Sinn und eine gewisse Würde. Ganz allgemein gesehen gab das Fernsehen und besonders das erste Programm, TF1, eine ständige Lektion in Sachen Würde. Als Michel noch jung war, hatte er geglaubt, das Leiden verleihe dem Menschen eine zusätzliche Würde. Jetzt mußte er einsehen, daß er sich geirrt hatte. Nicht das Leiden, sondern das Fernsehen verlieh dem Menschen eine zusätzliche Würde.

        Trotz der wiederholten reinen Freuden, die ihm das Fernsehen bereitete, hielt er es für richtig, ab und zu aus dem Haus zu gehen. Außerdem mußte er ja Einkäufe machen. Ohne feste Bezugspunkte verzettelt sich der Mensch, dann ist nichts mehr mit ihm anzufangen.
        Am Vormittag des 9. Juli (am Tag der heiligen Amandine) bemerkte er, daß in den Regalen seines Monoprix schon Schul- hefte, Ordner und Schreibetuis ausgelegt waren. Der Werbeslogan der Aktion, »das neue Schuljahr ohne Kopfzerbrechen« war in seinen Augen jedoch nur halbwegs überzeugend. Was war die Schule, was war das Wissen schon anderes als ein ständiges K opfzerbrechen?
        Am nächsten Tag fand er in seinem Briefkasten den Herbst / Winter-Katalog des Kaufhauses Les 3 Suisses. Auf dem Pappeinband des dicken Katalogs stand keine Adresse; war er von einem Zusteller des Kaufhauses deponiert worden? Als langjähriger Kunde der Versandhäuser war er an diese kleinen Aufmerksamkeiten gewöhnt, diese Zeichen gegenseitiger Treue. Der Sommer mußte sich wohl schon dem Ende nähern, denn die Verkaufsstrategien zielten bereits auf den Herbst ab; dabei war der Himmel noch strahlend, und es war ja erst Anfang Juli.
        Als junger Mann hatte Michel verschiedene Romane gelesen, die sich um das Thema des Absurden, der existentiellen Verzweiflung, der beständigen Leere der Tage drehten; diese extremistische Literatur hatte ihn nur teilweise überzeugt. Zu jener Zeit hatte er sich oft mit Bruno getroffen. Bruno träumte davon, Schriftsteller zu werden; er schrieb zahlreiche Seiten voll und onanierte viel; er hatte ihm Beckett zu lesen gegeben. Bekkett war vermutlich das, was man einen großen Schriftsteller nennt: Und doch war es Michel nicht gelungen, auch nur eines seiner Bücher zu Ende zu lesen. Das war gegen Ende der 70er Jahre gewesen; er und Bruno waren zwanzig und fühlten sich schon alt. Und das sollte so weitergehen: Sie sollten sich immer älter fühlen und sich dessen schämen. Ihre Epoche würde bald eine noch nie erfolgte Wandlung vollziehen: Das tragische Gefühl des Todes sollte in der allgemeineren, etwas verschwommenen Empfindung des Alterns aufgelöst werden. Zwanzig Jahre später hatte Bruno noch immer nicht wirklich an den Tod gedacht; und er begann zu ahnen, daß er nie daran denken werde. Er würde bis zum Schluß den Wunsch haben, zu leben, bis zum Schluß im Leben stehen, bis zum Schluß die Zwischen- fälle und Mißgeschicke des konkreten Lebens und des körperlichen Verfalls bekämpfen. Bis zum letzten Augenblick würde er um eine kleine Zugabe bitten, um eine kleine Verlängerung des Daseins. Bis zum letzten Augenblick würde er insbesondere nach einem allerletzten Höhepunkt der Lust suchen, nach einem kleinen zusätzlichen sexuellen Kitzel. Eine gut ausgeführte Fellatio blieb, so nutzlos sie auch auf lange Sicht war, ein wahres Vergnügen; und das zu leugnen, dachte Michel, während er in seinem Katalog die Seiten mit der Damenunterwäsche ( Sinn lich! Strapshalter ) durchblätterte, wäre unvernünftig gewesen.

    Er selbst onanierte selten; die Phantasmen, die ihn als jungen Forscher vor dem Minitel oder auch beim Anblick authentischer junger Frauen (zumeist Vertreterinnen der pharmazeutischen Industrie) von Zeit zu Zeit heimgesucht hatten, waren allmählich verschwunden. Er regelte das Nachlassen seiner Potenz mittlerweile durch harmloses, friedliches Wichsen, wofür sich der 3-Suisses-Katalog, gelegentlich ergänzt durch eine erotische C D -ROM für 79 Franc, als völlig ausreichende Vorlage erwies. Bruno dagegen, das wußte er, vergeudete sein reifes Mannesalter mit der Suche nach zweifelhaften Lolitas mit üppigen Brüsten, knackigem Hintern und einladendem Mund; Gott sei

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