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Elementarteilchen

Elementarteilchen

Titel: Elementarteilchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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dank war Bruno verbeamtet. Aber er lebte nicht in einer absurden Welt: Er lebte in einer melodramatischen Welt, die mit Superweibern und Fettklößen, mit geilen Typen und Saftsäcken bevölkert war; das war die Welt, in der Bruno lebte. Michel dagegen lebte in einer genau geregelten, wenn auch, historisch gesehen, anfälligen Welt, die jedoch durch gewisse kommerzielle Zeremonien einen gleichmäßigen Rhythmus bekam: das Tennisturnier in Roland Garros, Weihnachten, Silvester, den zweimal im Jahr eintreffenden 3-Suisses-Katalog. Wenn er homosexuell gewesen wäre, hätte er an der Anti-Aids-Kampagne des ersten Programms oder an der Gay Pride-P arade teilnehmen können. Wenn er Erotomane gewesen wäre, hätte er sich für die Erotikmesse begeistert. Wenn er Sportfan gewesen wäre, hätte er in dieser Minute die Pyrenäen-Etappe der Tour de France verfolgt. Als Verbraucher ohne besondere Merkmale begrüßte er dennoch erfreut die Wiederkehr der italienischen Woche im Monoprix seines Viertels. All das war gut organisiert, auf menschliche Weise organisiert; in all dem konnte man sein Glück finden; wenn er es hätte besser machen wollen, hätte er nicht gewußt, wie er es anfangen sollte.

        Am Morgen des 15. Juli las er in der Mülltonne im Hauseingang einen christlichen Prospekt auf. Verschiedene Lebensberichte liefen auf ein identisches, glückliches Ende hinaus: die Begegnung mit dem auferstandenen Christus. Eine Weile interessierte er sich für die Geschichte einer jungen Frau (»Isabelle erlitt einen Schock, denn ihr Universitätssemester stand auf dem Spiel«); doch dann entdeckte er vielmehr Gemeinsamkeiten mit Pavels Erfahrung (»Pavel, der in der tschechischen Armee als Offizier diente, betrachtete das Befehligen einer Raketenabschußbasis als Höhepunkt seiner militärischen Laufbahn«). Michel übertrug ohne Schwierigkeit die folgende Notiz auf seine eigene Situation: »Als hochspezialisierter Techniker, der eine Ausbildung in einer angesehenen Akademie erhalten hatte, hätte Pavel das Dasein zu schätzen wissen müssen. Dennoch war er unglücklich und immer auf der Suche nach etwas, das seinem Leben einen Sinn verleihen könne.«
        Der 3-Suisses-Katalog dagegen schien eine stärker geschichtlich orientierte Interpretation des europäischen Unbehagens zu liefern. Das bereits auf den ersten Seiten spürbare Bewußtsein eines bevorstehenden Zivilisationswandels fand seine endgültige Formulierung auf Seite 17; Michel sann mehrere Stunden über die Botschaft nach, die in den beiden Sätzen, die die Thematik der Kollektion definierten, enthalten war: »Optimismus, Großzügigkeit, Verständnis und Harmonie bringen die Welt voran. DI E WELT VON MORGEN IST WEIBLICH.«
        In den 20-Uhr-Nachrichten gab Bruno Masure bekannt, daß eine amerikanische Sonde die Spuren fossilen Lebens auf dem Mars entdeckt habe. Es handele sich um bakterielle Formen, vermutlich um eine Urform der Methanbakterien. Auf einem Planeten unweit der Erde hatten sich also biologische Makromoleküle bilden können und hatten nicht näher bestimmte Gebilde mit Fähigkeit zur Selbstreplikation hervorgebracht, die aus einem einfachen Kern und einer wenig erforschten Membran bestanden; und dann hatte alles aufgehört, zweifellos aufgrund eines Klimawechsels: Die Vermehrung war immer schwieriger geworden, ehe sie ganz unterbrochen wurde. Die Geschichte des Lebens auf dem Mars hörte sich eher bescheiden an. Doch dieser kurze Bericht über einen etwas seichten Mißerfolg widersprach aufs heftigste (und Bruno Masure schien sich dessen nicht völlig bewußt zu sein) allen mythischen und religiösen Konstruktionen, an denen sich die Menschheit seit jeher erfreut. Es gab keinen einmaligen grandiosen Schöpfungsakt; es gab kein auserwähltes Volk, nicht einmal eine auserwählte Gattung oder einen auserwählten Planeten. Es gab fast überall im Weltraum nur ungewisse und im allgemeinen wenig überzeugende Versuche. All das war außerdem enttäuschend eintönig. Die DNA der Mars-Bakterien schien mit der DNA der irdischen Bakterien völlig identisch zu sein. Diese Feststellung machte ihn ein wenig traurig, was schon an sich ein Zeichen für eine leichte Depression war. Ein Forscher im Normalzustand, ein Forscher in funktionsfähigem Zustand, hätte sich ganz im Gegenteil über diese identische Struktur freuen und darin die Verheißung von vereinheitlichenden Synthesen sehen müssen. Wenn die D NA überall identisch war, mußte es Gründe

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