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Elementarteilchen

Elementarteilchen

Titel: Elementarteilchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Stille wurde von leisem Sirren gestört - es mußte wohl Insekten in der Luft geben. Er legte sich auf den Grashang und stellte fest, daß das Wasser eine sehr leichte Strömung besaß: Der Kanal floß langsam nach Süden. Es war kein Frosch zu hören.
        Im Oktober 1975, kurz vor Beginn seines Studiums, war Bruno in das Appartement gezogen, das sein Vater ihm gekauft hatte; er hatte damals den Eindruck gehabt, daß nun ein neues Leben für ihn beginne. Die Enttäuschung ließ nicht lange auf sich warten. Sicher, es gab viele Mädchen, sogar sehr viele Mädchen, die an der Universität Censier Literatur studierten; aber alle schienen schon in festen Händen zu sein oder zumindest keine Lust zu haben, ihm in die Hände zu geraten. Um Kontakte zu knüpfen, ging er in alle Übungen, in alle Seminare, und wurde so schnell zu einem guten Schüler. In der Cafeteria sah er sie, hörte, wie sie schwatzten: Sie gingen aus, trafen sich mit Freunden, luden sich gegenseitig zu Feten ein. Bruno begann zu essen. Er legte sich ziemlich schnell auf einen Freßweg fest, der den Boulevard Saint-Michel hinabführte. Er begann zunächst mit einem Hot dog in der Imbißstube an der Ecke Rue Gay-Lussac; anschließend aß er etwas weiter unten eine Pizza oder manchmal ein griechisches Sandwich. Im McDonald's an der Ecke Boulevard Saint-Germain verschlang er mehrere Cheeseburger, die er mit Coca-Cola oder Bananen-Milkshakes herunterspülte; dann wankte er die Rue de la Harpe hinab, ehe er sich mit tunesischem Gebäck den Rest gab. Auf dem Weg nach Hause blieb er vor dem Latin stehen, das zwei Pornofilme gleichzeitig im Programm hatte. Manchmal blieb er eine halbe Stunde vor dem Kino stehen und tat so, als studiere er die Buslinien, in der Hoffnung, eine Frau oder ein Pärchen hineingehen zu sehen, wurde aber jedesmal enttäuscht. Meistens kaufte er sich schließlich dennoch eine Eintrittskarte; er fühlte sich schon besser, wenn er im Zuschauerraum war, die Platzanweiserin war wunderbar diskret. Die Männer setzten sich ziemlich weit auseinander, ließen immer mehrere freie Plätze zwischen sich. Sie holten sich in Ruhe einen runter, während sie sich Lüst erne Krankenschwestern, Die An halterin trägt keinen Slip, Die Lehrerin mit den gespreizten Schen keln, Die kleinen Lutschmäuler oder irgendeinen der vielen anderen Filme ansahen. Der einzige heikle Moment war der, wenn er das Kino verließ: Der Ausgang ging direkt auf den Boulevard Saint-Michel, und Bruno konnte durchaus unverhofft einem Mädchen aus der Uni gegenüberstehen. Im allgemeinen wartete er, bis irgendein Typ aufstand und blieb ihm dicht auf den Fersen; es schien ihm weniger entwürdigend, mit Freunden ins Pornokino zu gehen. Im allgemeinen kam er gegen Mitternacht heim, las Chateaubriand oder Rousseau.
        Ein- oder zweimal in der Woche beschloß Bruno, ein neues Leben zu beginnen, eine völlig andere Richtung einzuschlagen. Und so ging er dabei vor: Als erstes zog er sich nackt aus und betrachtete sich im Spiegel. Es war unerläßlich, bei dieser Selbsterniedrigung konsequent bis zum Äußersten zu gehen und die abstoßende Häßlichkeit seines dicken Bauchs, seiner Hängebacken und seines schon schlaffen Hinterns genau unter die Lupe zu nehmen. Dann löschte er alle Lichter. Er stellte die Füße dicht nebeneinander, verschränkte die Hände vor der Brust und beugte den Kopf ein wenig vor, um sich besser in sich selbst versenken zu können. Dann atmete er langsam tief ein, bis sich sein ekliger Bauch ganz aufblähte; dann atmete er wieder ganz langsam aus und sprach dabei im Geist eine Zahl aus. Alle Zahlen waren wichtig, seine Konzentration durfte nie nachlassen; aber die wichtigsten waren Vier, Acht und natürlich Sechzehn, die absolute Zahl. Wenn er sich wieder aufrichten würde, nachdem er die Zahl Sechzehn ausgesprochen hatte und dabei mit aller Kraft ausatmete, würde er ein völlig anderer Mensch sein, der endlich bereit war' zu leben und sich in die Strömung des Daseins gleiten zu lassen. Dann würde er weder Angst noch Scham mehr kennen; würde sich normal ernähren, sich mit Mädchen normal verhalten. »Heute ist der erste Tag deines restlichen Lebens.«
        Dieses kleine Ritual hatte keinerlei Auswirkung auf seine Schüchternheit, erwies sich dagegen manchmal als relativ wirksames Mittel gegen die Freßsucht; es vergingen manchmal zwei Tage, ehe er wieder abstürzte. Er führte den Mißerfolg auf einen Mangel an Konzentration zurück, glaubte

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