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Elementarteilchen

Elementarteilchen

Titel: Elementarteilchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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dann aber sehr schnell wieder an die Sache. Er war noch jung.
    Eines Abends, als er aus der Bäckerei Le Sud Tunisien kam, stieß er auf Annick. Er hatte sie seit ihrer kurzen Begegnung im Sommer 1974 nicht wiedergesehen. Sie war noch häßlicher geworden, war jetzt geradezu fettleibig. Ihre eckige Brille mit dem schwarzen Gestell und den dicken Gläsern ließ ihre braunen Augen noch kleiner erscheinen und unterstrich ihre kränkliche bleiche Hautfarbe. Sie tranken gemeinsam einen Kaffee, es gab einen Augenblick deutlicher Verlegenheit. Sie studierte auch Philologie, aber an der Sorbonne; sie wohnte direkt nebenan, in einem Zimmer, das auf den Boulevard Saint-Michel hinausging. Als sie sich trennten, gab sie ihm ihre Telefonnummer.
        Er besuchte sie mehrmals in den darauffolgenden Wochen. Da sie sich durch ihr Äußeres zu sehr gedemütigt fühlte, weigerte sie sich, sich auszuziehen; aber am ersten Abend schlug sie Bruno vor, ihm einen zu blasen. Sie sprach nicht über ihr Äuße- res, ihre Begründung war, daß sie die Pille nicht nahm. »Ganz bestimmt, ist mir viel lieber ...« Sie ging nie aus, blieb jeden Abend zu Hause. Sie trank Kräutertees, versuchte, eine Diät einzuhalten; aber nichts half. Bruno versuchte mehrere Male, ihr die Hose auszuziehen; doch sie krümmte sich zusammen, stieß ihn wortlos mit Gewalt zurück. Er gab schließlich nach, holte sein Glied heraus. Sie lutschte es schnell ab, ein wenig zu kräftig; er ejakulierte in ihrem Mund. Manchmal sprachen sie über ihr Studium, aber nicht sehr oft; im allgemeinen ging er schnell wieder fort. Es stimmte schon, daß sie nicht gerade hübsch war und er sich nur schwer vorstellen konnte, sich mit ihr auf der Straße, im Restaurant oder in der Warteschlange vor einem Kino zu zeigen. Er stopfte sich mit tunesischem Gebäck voll, bis ihm fast schlecht wurde; er ging zu ihr hinauf, ließ sich einen blasen und ging wieder. Es war vermutlich besser so.

    Am Abend von Annicks Tod war das Wetter sehr mild. Es war erst Ende März, aber es war schon ein Frühlingsabend. Bruno kaufte sich in seiner Stammbäckerei eine große Teigrolle mit Mandelfüllung, dann ging er zu der Uferstraße an der Seine. Der Klang der Lautsprecher eines Vergnügungsdampfers erfüllte die Luft, hallte von den Wänden von Notre-Dame wider. Er kaute auf seinem klebrigen, mit Honig überzogenen Gebäck herum, bis er es schließlich auf hatte, und ekelte sich wieder einmal zutiefst vor sich selbst. Das wäre doch vielleicht eine Idee, sagte er sich, es hier, mitten in Paris, mitten im Betrieb, unter all den Leuten zu versuchen. Er schloß die Augen, schob die Hacken zusammen, verschränkte die Hände vor der Brust. Langsam und entschlossen begann er in einem Zustand völliger Konzentration zu zählen. Als er die magische Sechzehn ausgesprochen hatte, öffnete er die Augen und richtete sich zu seiner vollen Höhe auf. Der Vergnügungsdampfer war verschwunden, die Uferstraße leer. Das Wetter war noch immer genauso mild.
        Vor dem Haus, in dem Annick wohnte, hatte sich eine kleine Menschenschar versammelt, die von zwei Polizisten zurückgehalten wurde. Er trat hinzu. Der Körper des Mädchens lag zerschmettert und seltsam verdreht auf dem Boden. Ihre gebrochenen Arme wirkten wie zwei Anhängsel neben ihrem Schädel, eine Blutlache umgab das, was von ihrem Gesicht noch übriggeblieben war; in einem letzten schützenden Reflex hatte sie wohl vor dem Aufschlagen die Hände um den Kopf gelegt. »Sie ist aus dem siebten Stock gesprungen. Sie war sofort tot ...«, sagte neben ihm eine Frau mit seltsamer Genugtuung. In diesem Augenblick traf der Krankenwagen ein, zwei Sanitäter stiegen aus und brachten eine Bahre. Als sie das Mädchen hochhoben, sah er den aufgeplatzten Schädel und wandte das Gesicht ab. Der Krankenwagen fuhr mit heulender Sirene wieder ab. So ging Brunos erste Liebe zu Ende.

    Der Sommer '76 war vermutlich die schlimmste Zeit in seinem Leben gewesen; er war gerade zwanzig geworden. Es herrschte eine Gluthitze, selbst die Nächte brachten keine Abkühlung; unter diesem Gesichtspunkt sollte der Sommer '76 in die Annalen eingehen. Die Mädchen trugen kurze, durchsichtige Kleider, die ihnen am schweißnassen Körper klebten. Er lief ganze Tage mit vor Begierde geweiteten Augen durch die Stadt. Nachts stand er auf, ging zu Fuß quer durch Paris, blieb vor Straßencafés stehen, beobachtete aufmerksam Diskothekeneingänge. Er konnte nicht tanzen. Er hatte ständig einen

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